206 DER FALL KOTZE
deutlich vor mir, wie er, die Pelzmütze im Nacken, den Säbel in der Faust,
auf seiner alten, aber noch immer flotten „Vigoureuse‘ vorbeigaloppiert.
Als wirnach dem Kriege bei der 3. Schwadron zusammenstanden, traten
wir uns noch näher. Wie oft sind wir im Frühjahr 1872 nebeneinander vor
unseren Zügen geritten, ich vor dem 1., er vor dem 2. Zuge. Schrader ist
einer der ersten gewesen, die mir eine größere Zukunft voraussagten. Schon
in Bonn gab er nach jedem Liebesmahl mit seiner lauten Stimme der Über-
zeugung Ausdruck, daß ich Reichskanzler werden würde. Als ich viel
später, damals Botschafter in Rom, im Jahre 1895 meinem alten Freund
Schrader, der inzwischen Zeremonienmeister geworden war, in Berlin im
Hause des sächsischen Gesandten, des Grafen Wilhelm Hohenthal, wieder
begegnete, setzte er mich dadurch in Verlegenheit, daß er in Gegenwart des
Staatssekretärs von Marschall der schönen Gräfin Lotka Hohenau, mit
dem Finger auf mich weisend, in der ihm eigenen ungenierten Art mit er-
hobener Stimme zurief: „Sehen Sie sich Bernhard Bülow genau an, der ist
in einigen Jahren Reichskanzler.‘‘ Marschall, ein Mann von großen Fähig-
keiten und noch größeren Ambitionen, der selbst Kanzler werden wollte,
warf mir einen so pikierten und dabei mißtrauischen Blick zu, daß ich mich
des Lächelns nicht erwehren konnte. Der forsche und lustige Schrader
wurde 1896 von dem Kammerherrn von Kotze in einem Duell erschossen,
das den Abschluß skandalöser Vorgänge in der Hofgesellschaft bildete, wie
sie unter Wilhelm I. unmöglich gewesen wären, wie sie aber unter dem allzu
raschen und dabei inkonsequenten Wilhelm II. schon in den Anfängen
seiner Regierung Böses für die Zukunft ahnen ließen. Ich will ausdrücklich
feststellen, daß das Verhalten des Freiherrn Karl von Schrader in dieser
ganzen Angelegenheit tadellos gewesen ist. Sein Gegner Kotze hat sich
gleichfalls korrekt benommen. Auch mit ihm, der gleichzeitig mit meinem
Bruder Adolf bei den 2. Gardedragonern stand, war ich seit meiner ersten
Jugend befreundet. Er war ein guter Kerl, der sich durch seine naive Ver-
götterung Wilhelms II. dessen besondere Gunst eine Zeitlang erworben
hatte, was Seine Majestät aber nicht abhielt, den Unglücklichen, als ein
gänzlich unbegründetes Gerücht ihn als den Verfasser anonymer Schmäh-
briefe bezeichnete, die das höfische Berlin in Aufregung versetzten, ver-
haften und einsperren zu lassen.