Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Der 
preußische 
Bundestags- 
gesandie 
6 BISMARCK-SCHÖNHAUSEN 
Lohr erzählte mir von den Sachsenkaisern, von Kaiser Heinrich, den sie 
vom Finkenherd im Harz auf den deutschen Kaiserthron riefen, von seinem 
Sohn, dem großen Kaiser Otto, der die Slawenstämme zwischen Elbe und 
Oder unterwarf und die Polen wie die Böhmen zur Anerkennung der deut- 
schen Lehnshoheit zwang, dem Sieger in der gewaltigen Schlacht gegen die 
Ungarn auf dem Lechfelde bei Augsburg. Er sprach mir auch von seinem 
phantastischen Enkel, Otto III., der, lebensmüde, obwohl kaum 22 Jahre 
alt, auf der Burg Paterno bei Rom starb, von dem Salier Heinrich III., 
unter dem das Heilige Römische Reich Deutscher Nation den Gipfel seiner 
Macht erstieg, der Lothringen gewann und mit der Ostmark den Grund zu 
Österreich legte, der drei italienische Päpste absetzte und nacheinander vier 
deutsche Päpste einsetzte, aber ach! schon mit neununddreißig Jahren 
starb. Noch lieber standen wir vor den Bildern der Hohenstaufen, am lieb- 
sten vor Kaiser Rotbart. Und wenn mir Herr Dr. Lohr von Barbarossa er- 
zählte, der die deutsche Reichsherrlichkeit mit sich hinabgenommen hätte, 
aber wiederkommen würde mit ihr zu seiner Zeit, so überkam mich eine 
große Sehnsucht, daß die Raben endlich aufhören möchten, um den Kyf- 
häuser zu fliegen, daß der Kaiser herausträte aus seinem unterirdischen 
Schloß und mit ihm des Reiches Herrlichkeit. Die Habsburger-Kaiser ge- 
fielen mir weit weniger. Nur zwei von ihnen zogen meine Augen auf sich: 
Kaiser Rudolf, weil ihm Schillers schönes Gedicht vom festlichen Krönungs- 
mahle im altertümlichen Saale zu Aachen galt, und der finstere Carolus 
Quintus. Dessen ablehnende Haltung gegen unseren teuren Dr. Martin 
Luther nahm ich ihm zwar übel, aber daß die Sonne in seinem Reich 
nicht unterging, gefiel mir doch. Die Leopolde und Ferdinande, die Franz 
und Josef mit ihrer hängenden Unterlippe fand ich ledern. 
Meine Eltern wohnten in der Neuen Mainzer Straße. Nicht weit von uns, 
in der Gallusgasse, hatte sich der preußische Gesandte, Herr von Bismarck- 
Schönhausen, eingemietet. Der war in den Frankfurter Diplomatenkreisen 
nicht gerade beliebt. Preußen war nicht in der Mode, weder im deutschen 
Vaterlande noch in der weiten Welt. Die schwächliche Haltung der preu- 
Bischen Regierung im kurhessischen Konflikt hatte das preußische Ansehen 
stark erschüttert. Alle Welt spottete über den Schimmel von Bronzell, das 
einzige Opfer eines Vorpostengefechts zwischen preußischen und öster- 
reichisch-bayrischen Truppen. Der preußische Ministerpräsident Man- 
teuffel erschien gegenüber seinem Antagonisten, dem vornehmen, hoch- 
fahrenden Fürsten Felix Schwarzenberg, dem letzten großen österreichi- 
schen Staatsmann der alten Schule, als ein subalterner Bürokrat, Friedrich 
Wilhelm IV. als ein irrlichterierender und dabei schwächlicher Träumer, 
verglichen mit dem um dreiunddreißig Jahre jüngeren Kaiser Franz Josef, 
den der Siegesglanz von Novara umleuchtete, dessen Heere Vater Radetzky
	        
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