Bray-sur-
Somme
Professor
Aegidi
214 FÄHNRICH VON BÜLOW
Freitag, den 6. Januar 71. Liebe Eltern, gestern war keine Gelegenheit,
diesen Brief zu befördern, darum heute noch zwei Worte. Wir sind heute
von Cappy nach Bray-sur-Somme marschiert, eine kleine, ganz nette
Stadt, wo wir gute Quartiere haben. Gestern erhielt ich auch Vaters lieben
Brief, der mich durch seine guten Nachrichten sehr erfreute. Desgleichen
erhielt ich ein Taschentuch, Schokolade und Zigarren sowie Zeitungen, für
die ich Euch tausendmal danke. Vielleicht schickt Ihr mir noch ein Taschen-
tuch, Schokolade und Zigarren erfreuen mich auch sehr. Der Oberst hat
sehr viel Güte für mich. Nachdem er mich zweimal zu Tisch eingeladen,
was ich nicht annehmen konnte, da die Schwadron zu weit vom Stabe lag,
ließ er mich heute, als der Stab mit uns zusammenlag, wieder bitten und
war bei Tisch sehr freundlich. Er sagte, er habe mich wegen meiner guten
Haltung vor dem Feind zum Unteroffizier ernannt und mich wegen Bravour
in der Schlacht an der Hallue zum Portepeefähnrich eingegeben. Nun aber
adieu, liebste Eltern. Bitte, sorgt Euch nicht um mich in diesem Monat,
der für uns wegen der lieben Bertha schon so traurig ist. Der liebe Gott, der
mich bisher gnädig behütet hat, wird mich gewiß auch weiter beschützen.
Tausend Grüße an alle von Eurem treuen Sohn Bernhard von Bülow.
Unter den Verwundeten vom Dritten ist auch ein Herr von Sanden-
Tussainen, Einjährig-Freiwilliger bei unserer Schwadron, Vetter des
jungen Wrangel. Er hat einen Schuß in den Oberschenkel. Der Arzt gibt
aber so weit gute Hoffnung. Vielleicht sagt Ihr es dem jungen Wrangel, den
ich ‚sehr grüßen lasse. Herr von Sanden liegt im Lazarett in Bapaume, ist
mit Geld versehen. Der Major hat an seinen Schwager, Professor Aegidi,
geschrieben. Euer treuer Sohn Bernhard.“
Die Hoffnung, daß der Einjährige von Sanden dem Leben erhalten
werden würde, erfüllte sich nicht. Der Arme, der neben mir geritten hatte,
erlag bald nachher seiner Verwundung. Sein Schwager, der Professor
Ludwig Karl Aegidi, der bekannte Staatsrechtslehrer und Herausgeber des
„staatsarchivs‘, war ein großer Gelehrter, aber klein von Wuchs und hieß
deshalb allgemein der kleine Aegidi. Von 1871 bis 1878 leitete er unter
Bismarck das Preßbüro des Auswärtigen Amtes. Das Preßbüro bestand
damals aus einem Leiter und einem Hilfsbeamten. Unter Caprivi trat noch
ein zweiter Hilfsbeamter dazu. Während meiner Reichskanzlerzeit leitete
der Geheimrat Hammann, den ich von Caprivi und Hohenlohe übernommen
hatte, als Chef mit zwei tüchtigen Hilfskräften, den Legationsräten
Esternaux und Heilbron, das Preßdepartement. Außerdem gehörte diesem
noch ein im Deutsch-Französischen Kriege schwerverwundeter Hauptmann
an, dessen Aufgabe darin bestand, beachtenswertere Zeitungsartikel aus-
zuschneiden und aufzukleben. Ich pflegte zu sagen, mein Preßbüro bestünde
aus drei und einem halben Mann. Als nach dem Novemberumsturz die drei