EMIGRANTEN 243
passieren lassen wollte, vor die Brust gestoßen hatte. Er sollte erschossen
werden. Der General von Ruville reichte ein Begnadigungsgesuch für ihn
ein, auf das lange keine Antwort erfulgte. Unterdessen wurde der Franzose,
der in der Zitadelle untergebracht worden war, von allen sehr freundlich
behandelt. Er aß mit den deutschen Offizieren, die in der Zitadelle Dienst
taten. Ich habe mehrfach mit ihm zusammen gegessen. Er konnte mir nicht
genug sagen, wie dankbar er für die gute Behandlung sei, die ihm zuteil
würde. Er ist schließlich begnadigt worden.
Der General von Ruville entstammte einer Emigrantenfamilie. Nicht
weit von Amiens lag das Schloß seiner Ahnen, das sich in ebenso traurigem
Zustand befand wie das Ahnenschloß von Chamisso, das Schloß Boncourt.
Aber der General von Ruville segnete nicht mild und gerührt diejenigen,
die jetzt den Pflug über den Boden führten, der einst der seinige gewesen
war. Die Erinnerung an die seinen Vorfahren zuteil gewordene üble Be-
handlung erhöhte noch seine Erbitterung gegen die Franzosen. Sein Adju-
tant, Graf Archambault Talleyrand-PEerigord, befand sich in einer Graf
heiklen Lage. Von väterlicher und mütterlicher Seite Franzose, der Sproß
einer großen französischen Familie, war er in jungen Jahren unter dem
Einfluß seiner Großmutter, der Herzogin von Sagan, nach Preußen ge-
kommen und dort in die Armee eingetreten. Er war ein pflichttreuer preu-
Bischer Offizier, aber sein Herz gehörte nach wie vor Frankreich. Als in
Amiens die Nachricht eintraf, daß die Kommunisten Paris in Brand ge-
steckt hätten, brach er vor dem General von Ruville und mir in Tränen aus.
Sobald die Deutschen Amiens verlassen hatten, beschloß der Conseil Muni-
cipal von Amiens, die Place Perigord in Place Faidherbe umzutaufen, um
dadurch seinen Abscheu gegen den Grafen Archambault von Talleyrand-
Perigord, der deutscher Offizier geworden war, zum Ausdruck zu bringen.
Archambault Talleyrand, der übrigens ein liebenswürdiger Mensch war, er-
zählte mir gelegentlich einen für die Kaiserin Augusta sehr charakteristi-
schen kleinen Zug. Als am Abend des 2. September die Kaiserin in ihrem
Palais die Glückwünsche zu dem Siege von Sedan entgegennahm, bemerkte
sie unter den Anwesenden auch den ihr wohlbekannten und von ihr immer
mit besonderer Freundlichkeit behandelten Archambault Talleyrand. Sie
schritt auf ihn zu und sagte ihm auf französisch, wie sehr sie den Zwiespalt
seiner Empfindungen verstehe und würdige. Das war echt Weimar. Ich
glaube aber nicht, daß eine englische oder französische, italienische oder
russische Prinzessin in gleicher Lage ähnlich empfunden oder gesprochen
haben würde. Graf Archambault Talleyrand hat später die älteste Tochter
des französischen Botschafters in Berlin, des Vicomte de Gontaut-Biron,
geheiratet, der bei Bismarck sehr schlecht, bei der Kaiserin Augusta sehr
gut angeschrieben war.
16*
Talleyrand-
Perigord