Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

„WIE SCHADE!” 269 
häusern am Rathaus vorbei nach Hause gingen, „um die ich mich sorge, 
sondern es ist unser deutsches Vaterland, für das ich fürchte. Die katholische 
Kirche hat schon ganz andere Stürme überstanden. Sie wird auch den von 
den Liberalen sehr aufgebauschten Streit wegen der Unfehlbarkeit über- 
dauern. Die Altkatholiken sind eine Handvoll Blätter, die von der Eiche 
herunterfallen. Das bedeutet nicht viel. Aber für Deutschland gibt es, wie 
unsere ganze Geschichte lehrt, kaum etwas Gefährlicheres als konfessionellen 
Streit. Davon wird und kann im letzten Ende nur der Radikalismus 
profitieren.“ Der würdige Mann hat recht behalten. Die Freisinnigen 
jubelten Bismarck zu, als er den Kampf gegen die katholische Kirche 
aufnahm, ließen ihn aber bald im Stich. 
Doch, ach! Schon auf des Weges Mitte 
Verloren die Begleiter sich, 
Sie wandten treulos ihre Schritte, 
Und einer nach dem andern wich. 
Ein berühmter Demokrat, Professor Virchow, prägte 1873 in dem von 
ihm verfaßten Wahlprogramm der Fortschrittspartei das Wort vom 
„Kulturkampf“. Aber nicht lange nachher schloß der Führer der Fort- 
schrittspartei, Eugen Richter, wo er nur konnte, Wahlbündnisse mit dem 
Zentrum. Die Sozialdemokratie, in allen katholischen Ländern die er- 
bitterte Feindin der katholischen Kirche, ist in Deutschland, vor dem 
Umsturz und erst recht seitdem, stets bemüht gewesen, dem Zentrum den 
Steigbügel zu halten, wofür sich das Zentrum gern revanchiert. Wie konnte 
unser großer Bismarck so irren ? Weil er weder den Katholizismus noch die 
Kurie kannte. Als der kirchenpolitische Kampf sich ankündigte, sagte der 
kluge, erfahrene, ganz vorurteilslose Staatssekretär Pius’ IX., Kardinal 
Antonelli, zu einem ihn besuchenden deutschen, protestantischen 
Prinzen: „Ich verstehe den Fürsten Bismarck nicht. Wie kann dieser große 
Staatsmann sich so täuschen ? Uns wird er nichts anhaben. Daß der Papst 
den Kirchenstaat verloren hat, ist ja sehr traurig, aber wir sind durch dieses 
uns widerfahrene Unrecht ganz unangreifbar geworden. Wenn sich Bismarck 
zu einer Maßregelung unserer Geistlichen, zu einer Verfolgung unserer 
Kirche in Deutschland hinreißen läßt, so wird er uns eher nützen. Wir 
haben schließlich doch eine gewisse Erfahrung. Wir haben in manchen 
Ländern schon manche Verfolgung erlebt. Wir kennen speziell die deutschen 
Katholiken sehr genau. Durch Maßnahmen, wie Bismarck sie plant, wird 
in Deutschland der Eifer der Gläubigen, ihre Liebe zu ihrem Oberhirten neu 
belebt, das religiöse Leben nur gekräftigt und vertieft werden. Wie kann 
ein so großer Mann wie Bismarck so irren? Che peccato! (Wie schade!) 
Giacomo Antonelli'stammte aus dem Räubernest Sonnino in den Sabiner 
Antonelli 
über Bismarck
	        
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