Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Herr von 
Eisendecher 
Le Marquis 
de Tallenay 
12 BISMARCK KALTGESTELLT 
Ich habe schon gesagt, daß sowohl das Bismarcksche Ehepaar wie meine 
Eltern in freundschaftlicher Beziehung zu dem oldenburgischen Gesandten 
Herrn von Eisendecher und dessen gescheiter Frau, einer Bremerin, 
standen. Herr von Eisendecher hatte zwei liebenswürdige Töchter, die beide 
Pommern heirateten, die ältere, Gustava, einen Herrn von Köller, die 
Jüngere, Christa, einen Grafen Eickstedt. Christa, die mir immer eine gute 
Freundin geblieben ist, trat dem Bismarckschen Hause besonders nahe. Sie 
hat auch am Sterbebette des großen Fürsten gestanden, für dessen Eigenart 
es charakteristisch ist, daß er trotz der Intimität, die Christa mit dem Bis- 
marckschen Hause verband, deren Bruder, den Gesandten in Karlsruhe, 
Karl von Eisendecher, nicht mehr über die Schwelle seines Hauses ließ, 
seitdem dieser, wie der Fürst glaubte, unter dem Einfluß des Großherzogs 
Friedrich von Baden im März 1890 den Standpunkt seines Chefs, des 
Ministerpräsidenten und Reichskanzlers, gegenüber Kaiser Wilhelm II. nicht 
mit der wünschenswerten Festigkeit vertreten hatte. Als Wilhelm II. 1897 
dem Fürsten Bismarck seinen letzten Besuch machte, brachte er in seinem 
Gefolge auch Herrn von Eisendecher mit. Sobald Fürst Bismarck dies hörte, 
ließ er den Kaiser wissen, daß er Herrn von Eisendecher nicht in seinem 
Hause dulde, und dieser mußte während des ganzen Besuches im Sonder- 
zuge warten. 
Als Herr von Bismarck 1859 Frankfurt verließ, war mein Vater der ein- 
zige seiner Kollegen, der an die Bahn ging, um ihm Lebewohl zu sagen. 
Bismarck verabschiedete sich von meinem Vater nach einem kräftigen 
Händedruck mit den Worten: „Die neue Ära will mich an der Newa in 
jeder Beziehung kaltstellen. Wer weiß, wie lange ich überhaupt noch im 
Dienste bleibe.‘ 
Von nichtdeutschen Diplomaten in Frankfurt war der französische Ge- 
sandte Tallenay eine originelle Erscheinung. In der Zeit, wo meine Er- 
innerungen beginnen, hatte er bereits den Dienst quittiert, seinen Wohnsitz 
in der schönen Mainstadt jedoch beibehalten. Damals gab er sein Alter auf 
siebzig bis achtzig Jahre an. Es wurde aber behauptet, daß er neunzig hinter 
sich habe. Mit glänzend gefärbtem Haar und Knebelbart, sah er noch ganz 
unternehmend aus. Er war schon unter dem Directoire in den diplomati- 
schen Dienst eingetreten und hatte als Attache& und Secretaire de Legation 
die Schlacht an den Pyramiden und Marengo miterlebt. Er hatte nach- 
einander der ersten Republik, Napoleon I., der Restauration, der Juli- 
Monarchie, der zweiten Republik und Napoleon Ill. gedient, fand das aber 
durchaus in der Ordnung. „Je ne sers pas les differents gouvernements qui 
se succedent, je sers la France qui reste.““ Er hieß eigentlich M. Marquis, 
vertauschte aber seinen Namen mit dem wohlklingenderen seines Geburts- 
orts Tallenay, nannte sich erst M. Marquis de Tallenay und schließlich
	        
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