Plädoyer
vor den
Geschworenen
278 BÜLOW ALS OFFIZIALVERTEIDIGER
des alten Obrigkeitsstaates gelehrt hätte, das in allen Zweigen der Staats-
verwaltung Mustergültiges geleistet und in den Jahren des Umsturzes
durch Selbstverleugnung und pflichttreue Hingabe an den Staatsgedanken
Reich und Länder vor dem völligen Zusammenbruch gerettet hat.
Unter den Rechtsanwälten am Landgericht Metz war eine viel diskutierte,
aber nicht uninteressante Persönlichkeit der Advokat Pistor. Als junger
Mensch hatte er sich 1849 am Pfälzer Aufstand beteiligt, war nach dessen
Niederwerfung über die französische Grenze nach Metz gegangen und hatte
sich dort als Franzose naturalisieren lassen. Sein Sohn war französischer
Offizier und leidenschaftlicher Franzose geworden, der sich im Deutsch-
Französischen Krieg hervorgetan hatte und seitdem eine höhere Stellung
im französischen Nachrichtendienst bekleidete, wo er schon durch seine
Beherrschung der deutschen Sprache Vorzügliches geleistet haben soll. Die
französische Polizei ist nach meinem Dafürhalten von Fouch& bis zu Pietri
und von diesem bis heute die beste, findigste und energischste Polizei der
Welt. So war auch von jeher das Spionagewesen in Frankreich hervor-
ragend organisiert. Wir sind im Nachrichtendienst wie im Spionieren und
auch was die Propaganda in anderen Ländern betrifft, mit den Franzosen
verglichen Stümper, wie sich das im Weltkrieg traurig gezeigt hat. Während
der Sohn Pistor am Rhein spionierte, wo er einmal in Gesellschaft des
Generals Miribel von unseren Militärbehörden abgefaßt wurde, plädierte
der Vater seelenruhig am Landgericht in Metz.
Als ich ihm im Winter 1872/73 auf der Esplanade begegnete, frug er mich,
ob ich Lust hätte, vor den Geschworenen zu plädieren. Er sei gern bereit,
mir eine Sache anzuvertrauen, in der er als Offizialverteidiger bestellt sei.
Der Fall liege freilich so gut wie hoffnungslos. Ein bayrischer Landstreicher
habe einen lothringischen Landwirt erschlagen, der ihn aus seinem Garten
ausgewiesen habe, wo er Äpfel stahl. Lothringische Geschworene würden
diesenVorgang kaum nachsichtig beurteilen. Es müsse auch in französischer
Sprache plädiert werden. Ich erklärte mich gern bereit, die Verteidigung zu
übernehmen. Im Laufe des Abends wurde mir der Dossier zugestellt. Ich
las das dicke Aktenstück aufmerksam durch und strich alles, was sich zur
Verwertung für die Verteidigung eignete, rot, was gegen meinen Klienten
sprach, blau an. Dann legte ich mich früher als gewöhnlich schlafen, um
am nächsten Morgen frisch zu sein.
Der Zweite Staatsanwalt plädierte auf Totschlag unter erschwerenden
Umständen, also auf Zuchthaus. Er sprach fast nachlässig, da die Ver-
urteilung des deutschen Angeklagten durch die französischen Geschworenen
ihm ohnehin völlig sicher erschien. Als ich das Wort erhielt, ging ich sofort
zum Angriff über: „Le procureur de l’Empereur vous a raconte les faits a sa
maniere, comme les comprend l’accusation. Je retablirai la verit& comme