Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Plädoyer 
vor den 
Geschworenen 
278 BÜLOW ALS OFFIZIALVERTEIDIGER 
des alten Obrigkeitsstaates gelehrt hätte, das in allen Zweigen der Staats- 
verwaltung Mustergültiges geleistet und in den Jahren des Umsturzes 
durch Selbstverleugnung und pflichttreue Hingabe an den Staatsgedanken 
Reich und Länder vor dem völligen Zusammenbruch gerettet hat. 
Unter den Rechtsanwälten am Landgericht Metz war eine viel diskutierte, 
aber nicht uninteressante Persönlichkeit der Advokat Pistor. Als junger 
Mensch hatte er sich 1849 am Pfälzer Aufstand beteiligt, war nach dessen 
Niederwerfung über die französische Grenze nach Metz gegangen und hatte 
sich dort als Franzose naturalisieren lassen. Sein Sohn war französischer 
Offizier und leidenschaftlicher Franzose geworden, der sich im Deutsch- 
Französischen Krieg hervorgetan hatte und seitdem eine höhere Stellung 
im französischen Nachrichtendienst bekleidete, wo er schon durch seine 
Beherrschung der deutschen Sprache Vorzügliches geleistet haben soll. Die 
französische Polizei ist nach meinem Dafürhalten von Fouch& bis zu Pietri 
und von diesem bis heute die beste, findigste und energischste Polizei der 
Welt. So war auch von jeher das Spionagewesen in Frankreich hervor- 
ragend organisiert. Wir sind im Nachrichtendienst wie im Spionieren und 
auch was die Propaganda in anderen Ländern betrifft, mit den Franzosen 
verglichen Stümper, wie sich das im Weltkrieg traurig gezeigt hat. Während 
der Sohn Pistor am Rhein spionierte, wo er einmal in Gesellschaft des 
Generals Miribel von unseren Militärbehörden abgefaßt wurde, plädierte 
der Vater seelenruhig am Landgericht in Metz. 
Als ich ihm im Winter 1872/73 auf der Esplanade begegnete, frug er mich, 
ob ich Lust hätte, vor den Geschworenen zu plädieren. Er sei gern bereit, 
mir eine Sache anzuvertrauen, in der er als Offizialverteidiger bestellt sei. 
Der Fall liege freilich so gut wie hoffnungslos. Ein bayrischer Landstreicher 
habe einen lothringischen Landwirt erschlagen, der ihn aus seinem Garten 
ausgewiesen habe, wo er Äpfel stahl. Lothringische Geschworene würden 
diesenVorgang kaum nachsichtig beurteilen. Es müsse auch in französischer 
Sprache plädiert werden. Ich erklärte mich gern bereit, die Verteidigung zu 
übernehmen. Im Laufe des Abends wurde mir der Dossier zugestellt. Ich 
las das dicke Aktenstück aufmerksam durch und strich alles, was sich zur 
Verwertung für die Verteidigung eignete, rot, was gegen meinen Klienten 
sprach, blau an. Dann legte ich mich früher als gewöhnlich schlafen, um 
am nächsten Morgen frisch zu sein. 
Der Zweite Staatsanwalt plädierte auf Totschlag unter erschwerenden 
Umständen, also auf Zuchthaus. Er sprach fast nachlässig, da die Ver- 
urteilung des deutschen Angeklagten durch die französischen Geschworenen 
ihm ohnehin völlig sicher erschien. Als ich das Wort erhielt, ging ich sofort 
zum Angriff über: „Le procureur de l’Empereur vous a raconte les faits a sa 
maniere, comme les comprend l’accusation. Je retablirai la verit& comme
	        
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