METAPHYSIK DER GESCHLECHTSLIEBE 281
begründeten Eifersucht. Ich nahm einen letzten Anlauf. Als Ada, zwei
Tage bevor die deutsche Theatertruppe Metz verließ, den Wunsch aus-
drückte, Nancy kennenzulernen, schlug ich ihr einen gemeinsamen Ausflug
dorthin vor. Sie akzeptierte. Aber bei der Abfahrt vom Metzer Bahnhof
erschien sie nicht allein, sondern in Begleitung einer Kollegin, der häß-
lichsten Dame der Truppe, einer Böhmin, deren ordinärer tschechischer
Akzent mir überdies auf die Nerven ging. Man konnte sich keine greulichere
Duenna vorstellen. Trotzdem freute ich mich der gemeinsamen Fahrt. Es
freute mich auch, Ada das anmutige Nancy zu zeigen und mit meinem
Französisch glänzen zu können. Ich freute mich des gemeinsamen Diners in
einem eleganten Restaurant. Das konnte ihr der gräßliche Mime kaum
bieten.
Aber als wir abends nach Metz zurückkehrten, war ich, um mich fran-
zösisch auszudrücken, gros Jean comme devant. Und doch — so hartnäckig
kann ein Verliebter sein — erschien ich am nächsten Mittag zur Abreise
der Truppe auf dem Bahnhof. Ada hatte mir den Wunsch ausgesprochen,
ein Schoßhündchen zu besitzen. Ich trieb noch am Vormittag einen kleinen,
reizenden Zwergpintscher auf, den ich ihr in einem Körbchen überreichte,
ein rosa Bändchen um den Hals. Sie schien wirklich erfreut und gerührt.
Als der Zug sich in Bewegung setzte, warf sie mir ein Kußhändchen zu,
aber hinter ihrem blonden Köpfchen erschien die höhnische Fratze des
Komikers, der, sicher gemacht durch die Entfernung, mir eine Nase drehte.
In seinen nachgelassenen Aphorismen zur Metaphysik der Geschlechtsliebe
meint Schopenhauer, die Gunst eines schönen Weibes allein durch seine
Persönlichkeit zu gewinnen, sei vielleicht ein noch größerer Genuß für die
Eitelkeit als für die Sinnlichkeit, denn man erhalte dadurch die Gewißheit,
daß die eigene Persönlichkeit ein Äquivalent für jene über alle anderen ge-
schätzte, bewunderte, vergötterte Person sei. Dieses Glück ist mir in meiner
Jugend bisweilen zuteil geworden. Es ist richtig, daß der Gedanke, ohne
Macht, Stellung, Reichtum, lediglich um seiner selbst willen von einer
schönen Frau geliebt zu werden, das Vertrauen zu den eigenen Kräften und
der eigenen Person mächtig heben und stärken kann. Aber Fräulein Ada
lehrte mich, daß Schopenhauer auch recht hat, wenn er in seinen Apho-
rismen hinzufügt: Gerade weil die Eitelkeit in der Liebe eine bedeutsame
Rolle spielen könne, sei verschmähte Liebe so schmerzlich, besonders, wenn
mit begründeter Eifersucht vereint. Ich habe nie wieder von Ada gehört.
Was mag aus ihr geworden sein? „Oü sont les neiges d’antan?““ „„Wo ist
der Schnee vom vergangenen Jahr geblieben ?“ So frug melancholisch vor
dreihundert Jahren der französische Dichter Pierre de Ronsard.
Um mich, der ich anfangs doch etwas verstimmt gewesen war, zutrösten,
schlug mir mein lieber Franz Arenberg vor, mit ihm acht Tage bei seinen