Bismarck
und Rußland
Seine
Widersacher
298 DER BESTGEHASSTE MANN
Durchlaucht eigentlich über unser gegenwärtiges Verhältnis zu Rußland ?“
Der Gute frug das in einem Augenblick, wo von einer Trübung unserer
Beziehungen zu Rußland gesprochen wurde. Bismarck sah den Frager mit
seinen großen Augen an. Dann: „In meiner langen Dienstzeit ist selten eine
so un—un—“ Wir alle erwarteten :ungehörige, unerwünschte, unverschämte
Frage an mich gerichtet worden. Der Fürst aber schloß den Satz, sich
höflich gegen den Prinzen Reuß verbeugend, mit den Worten: „... eine
so unerwartete Frage an mich gerichtet worden.“
Wenn mein Vater zugegen war, unterhielt Bismarck sich gern mit ihm
über Erinnerungen aus der Frankfurter Bundestagszeit, bisweilen auch über
schwebende Fragen der großen auswärtigen Politik. Ich entsinne mich genau,
daß der Fürst schon damals als das schwierigste, aber auch wichtigste
Problem unserer auswärtigen Politik die richtige Behandlung des russisch-
österreichischen Gegensatzes bezeichnete. Unser Verhältniszu Rußland
beschäftigte Bismarck unablässig. Am 4. September 1872 hatte in Berlin
die Begegnung zwischen Kaiser Wilhelm, Kaiser Alexander II. und Kaiser
Franz Josef stattgefunden. Der Augenblick, in dem unser ehrwürdiger
Kaiser den beiden anderen Monarchen seine siegreichen Truppen vorführte,
war einer der Höhepunkte der preußischen und deutschen Geschichte.
Bismarck hätte weder 1866 noch 1870/71’ ohne wohlwollende russiche
Neutralität seine Politik durchführen können. Aber andererseits lag es auf
der Hand, daß völlige Preisgabe der habsburgischen Monarchie an Rußland
uns in eine sehr prekäre Lage bringen würde. Weder Österreich-Ungarn zu
opfern, noch uns durch Österreich-Ungarn in einen Krieg mit Rußland ver-
wickeln zu lassen erschien Bismarck als eine gewiß nicht leichte, aber für
eine ruhige und geschickte deutsche Hand lösbare Aufgabe, namentlich
wenn wir nicht so dumm wären, den Russen gerade an den Dardanellen
entgegenzutreten, statt das anderen zu überlassen.
Es wäre übrigens ein Irrtum, zu glauben, daß die Verdienste des in der
Vollkraft der Jahre und im Zenit des Ruhms stehenden Bismarck um
Preußen und Deutschland, seine überragende menschliche Größe damals
allgemein gewürdigt worden seien. Im Parlament und in der Presse wurde
er von vielen Seiten auf das bitterste, zum Teil auf das unwürdigste an-
gegriffen. Unter seinen Gegnern standen wissenschaftliche Zelebritäten,
wie Theodor Mommsen und Rudolph Virchow, in vorderster Reihe. Jeder
wußte, daß den beiden ersten Frauen im Lande, der Kaiserin Augusta und
der Kronprinzessin Viktoria, der Reichskanzler nicht viel sympathischer
war als den Vorkämpfern der drei im Reichstag gegen ihn verbündeten
Parteien, den Herren Richter (Freisinn), Windthorst (Zentrum) und
Grillenberger (Sozialdemokratie). Wirklich und herzlich wohlgesinnt am
preußischen Hofe war Bismarck außer seinem alten Herrn eigentlich nur