EIN DIPLOMATEN-KNIGGE 15
der Militärkanzlei des Kaisers, 1874 Generaladjutant und 1888 Chef des
Generalstabs, was er bis 1906 blieb. Er ist erst 1920, als Neunzigjähriger,
gestorben. Er, der noch unter Vater Radetizky bei Novara gefochten hatte,
mußte den Zusammenbruch, das Ende des habsburgischen Hauses und
Reiches erleben.
Erster Sekretär der österreichischen Mission war ein älterer Legations-
rat, der, ähnlich wie der Marquis de Tallenay, seinen väterlichen Namen
veredelt hatte. Er hieß von Hause aus Dumreicher, wurde aber unter dem
Namen Oesterreicher in den k. k. Freiherrnstand erhoben. In der öster-
reichischen Diplomatie der alten Zeit, also vor dem Schicksalsjahr 1866,
wurden die Chefs der wichtigeren Missionen meist dem Hochadel ent-
nommen. Da nun bei den Sprossen der Geburtsaristokratie bedauerlicher-
weise die dienstliche Brauchbarkeit nicht immer der Zahl der Ahnen ent-
sprach, wurden solchen Chefs bürgerliche Räte beigegeben, denen dic eigent-
liche Berufsarbeit oblag. Ein solcher, übrigens tüchtiger Beamter war der
Freiherr Dumreicher von Oecsterreicher. Er hat unter dem Titel ‚Album
d’un Diplomate“ in französischer Sprache ein elegant eingebundenes, jetzt
vergessenes und aus dem Buchhandel verschwundenes Buch verfaßt, das
der diplomatischen Zunft manche noch immer nützliche Winke und Rat-
schläge gibt. Das erste Kapitel behandelt das Thema ‚Du Calme‘ und be-
ginnt mit den Worten: „Un diplomate doit avoir un temperament calme.“
In einem weiteren Kapitel heißt es: „On aime a attribuer une certaine
fougue au gEnie et a se l’imaginer comme dispense d’etre patient. Mais le
vrai genie ne manque jamais de patience; il attend toujours que les choses
soient arrivees a maturite et il ne pr&cipite rien par une impatiente impetuo-
site. C’est pour cela qu’un proverbe dit: La patience, c’est le genie.‘“ Über
den Bon sens heißt es: „La diplomatie est le bon sens applique aux affaires
du grand monde“, über den Takt: „Le tact est la faculte de faire spon-
tan&ment ce qui est convenable‘“. Und an der Spitze des Artikels über die
Intelligenz steht der zweifellos richtige und nicht genug zu beherzigende
Satz: „Un diplomate ne saurait avoir trop d’intelligence.‘“ Wenn unsere
diplomatischen Geschäftsführer im Unglückssommer 1914 diesen goldenen
Worten und Winken des seligen Dumreicher entsprochen hätten, so hätten
sie das deutsche Volk vor der fürchterlichsten Katastrophe bewahrt,
die seit der Heimsuchung des Dreißigjährigen Krieges unser Vaterland
betroffen hat.
Mit den beiden Legationssekretären, die sich unter meinem Vater an der
Dänischen Gesandtschaft am Bundestag betätigten, hat mich das Leben
später wieder zusammengeführt. Der eine, H. von Bille, wurde dänischer
Gesandter in London. Ich bin ihm dort und anderswo wiederholt begegnet.
Der andere, Herr von Wind, war dänischer Gesandter in St. Petersburg,
Baron
Dumreicher
Die Dänische
Gesandtschaft
am Bundestag