310 „DIESES GRAZIÖSE KIND“
begrüßt und sich im besten Italienisch (lingua toscana in bocca romana)
angeregt mit ihr unterhalten. Sie weilte 1812, in Deutschlands trübster Zeit,
mit ihren Eltern längere Zeit in Wien. Theodor Körner, der damals viel im
Hause ihrer Eltern verkehrte, hatte seine Freude an Gabriele, die mit An-
mut die kleinen Komödien aufführte, die er zu Familienfesten für sie dich-
tete. Im Juli 1812 schrieb er an die Seinen: „Dieses graziöse Kind macht
auch das Unbedeutendste bedeutend. Sie spielt meine Gelegenheitsstück-
chen mit unendlichem Talent.‘ Körners erster dramatischer Versuch wurde
für Gabriele geschrieben. Während sie in Körnerschen Komödien agierte,
wurde sie von ihrem Vater im Griechischen unterrichtet. Vier Jahre später
verlobte sich Gabricle, noch nicht fünfzehn Jahre alt, mit Heinrich Bülow,
der als Legationssekretär ihrem Vater zugeteilt war. Kaum sechs Monate
vorher war sie konfirmiert worden. Sie hat allerdings erst vier Jahre später
geheiratet. Die Zwischenzeit verlebte sie mit ihrer Mutter in Rom und in
Neapel, blieb aber eine gute Deutsche. 1817, nicht lange vor ihrem sechzehn-
ten Geburtstage, schrieb sie an ihren Bräutigam, der wohl gefürchtet haben
mag, daß sie ganz Italienerin werden könnte: „Ich fühle mich mit zu
starken Banden an das liebe deutsche Vaterland gebunden, und mein ganzes
Wesen und Leben ist gottlob so stark daran gekettet, daß es mir ewig
teurer sein wird als jedes andere. In Deutschland bin ich geboren, dort habe
ich Dich kennen und lieben gelernt, bin dort die Deine geworden, und Du
bist auch ein Deutscher.‘ In leidenschaftlichen Wendungen versichert die
fünfzehnjährige Braut nach einer Besteigung des Vesuvs aus Neapel ihren
Heinrich ihrer zärtlichsten Liebe. ‚Ich möchte mich auflösen in Sehnsucht
nach Dir, aber den Frieden, den Deine Liebe mir gibt, kann nichts aus
meiner Seele verdrängen, und so gebe ich mich gern der süßen, wehmütigen
Stimmung hin, in der ich mich glücklich fühle, weil dann kein anderes Ge-
fühl in mir lebt als einzig Du, Deine beseeligende Liebe und das Vertrauen
auf den gütigen Gott, das hier beim Anschauen seiner Schöpfung doppelt
erhöht wird.“ Ihre Ehe mit Heinrich Bülow wurde im Januar 1821 in
der Berliner Dreifaltigkeitskirche von Schleiermacher eingesegnet, dem
Freunde und Geistesverwandten ihres Vaters. Neun Jahre später konfir-
mierte derselbe Schleiermacher in derselben Dreifaltigkeitskirche den fünf-
zehnjährigen Gymnasiasten Otto von Bismarck.
Nachdem Heinrich Bülow, dessen ich in meinen Erinnerungen schon
früher gedacht habe, mehrere Jahre als Vortragender Rat im Ministerium
des Äußern gewirkt hatte, wurde er 1827 zum Gesandten in London er-
nannt, wo er und seine Frau während seiner vierzehnjährigen Wirksamkeit
der königlichen Familie und insbesondere der damals noch ganz jungen
Königin Victoria sehr nahe traten. Die Königin hat mir, als ich 1899 als
Staatssekretär in Windsor weilte, sehr gütig von „my very dear friend,