KIRCHE UND STAAT 325
herumtrieben. In Sizilien wurde die Postkutsche, mit der ich von Palermo
nach Girgenti fuhr, von berittenen Karabinieri begleitet. Der Brigantaggio
war auf der schönen Insel noch nicht ausgerottet.
In Girgenti wurde ich in den „Circolo Empedocle“ eingeführt, der nach
dem berühmtesten Sohn der Stadt, dem Philosophen Empedokles benannt
war. Die dort anwesenden Herren führten ein politisches Gespräch. Ich
frug, was man in Girgenti von dem damaligen italienischen Minister-
präsidenten, Marco Minghetti, denke. Man antwortete mir: „Una iena
alterata di sangue. (Eine blutberauschte, blutdürstige Hyäne.)‘“ Diese
Äußerung ist mir im Gedächtnis geblieben, denn sie ist charakteristisch für
den Wert oder vielmehr Unwert parteipolitisch gefärbter Urteile. Marco
Minghetti war, wie heute ziemlich allgemein anerkannt wird, einer der
gemäßigtesten und weisesten Staatsmänner und gleichzeitig einer der
gebildetsten und humansten Männer seiner Zeit.
Als ich von meiner mich sehr befriedigenden Reise durch Süditalien nach
Rom zurückkehrte, bot mir Keudell an, im Palazzo Caffarelli abzusteigen,
wo ich ein im dritten Stock gelegenes Zimmerchen bezog, das eine herrliche
Aussicht gewährte. Als ich nach und nach die Mitglieder anderer Missionen
kennenlernte, hörte ich namentlich von Österreichern und Franzosen sagen,
daß ein Zusammenleben des Papstes und des Königs von Italien in Rom
auf die Dauer nicht möglich sei. ‚‚Ceci tuera cela‘, meinte ein geschwätziger
französischer Kollege, der Vicomte de Mareuil. „Entweder der Papst
exkommuniziert den König, oder der König läßt den Vatikan besetzen, in
beiden Fällen großer Krach.“
Je mehr ich Gelegenheit hatte, mich über den Stand dieses Problems
zu unterrichten, desto mehr wurde mir klar, daß die Ausländer die
römischen Verhältnisse oft falsch beurteilen und namentlich jene
italienische Gabe unterschätzen, die Anatole France das „‚genie italien
de la juxtaposition‘ genannt hat. Eine katholische deutsche Dame er-
zählte mir, daß Pius IX., der bekanntlich geistvoll und sogar witzig war,
sie gefragt habe, was sie in Rom am merkwürdigsten gefunden hätte. Sie
antwortete natürlich: „‚Die Peterskirche.“‘ Der Heilige Vater schüttelte den
Kopf. Da meinte sie: „Das Forum und den Palatin.‘“ Wiederum schüttelte
der Heilige Vater den Kopf und sagte sodann lächelnd: „Das Merkwürdigste
bleibt doch, daß in Rom ich, der Papst, der König Viktor Emanuel und
Garibaldi zusammen leben und daß wir uns untereinander nicht auf-
fressen.‘“ Garibaldi war damals zum Abgeordneten gewählt worden. Ich
bin ihm öfters begegnet. Er hatte schöne, gütige Augen, ein sehr einfaches
Auftreten, etwas Naives, Schwärmerisches und dabei doch Heroisches.
Von meinem Freunde, dem Prinzen Franz Arenberg, hatte ich schon, als
wir zusammen am Landgericht in Metz arbeiteten, gehört, daß sein