328 GRIMM, EUROPA
Gespräch wandte sich den Schicksalen der Ewigen Stadt zu, in der sich die
beiden großen Männer begegneten. Gregorovius erzählte mit Geist und
Feuer manches Neue über das römische Mittelalter. Darauf Mommsen, als
Gregorovius eine kleine Pause machte: „Ich will Ihnen etwas sagen,
schreiben Sie eine Geschichte Roms im Mittelalter.‘ Vielleicht noch be-
zeichnender für die Malice, über die Mommsen gebot, ist die Art und Weise,
wie er einmal Herman Grimm abfertigte. Dieser, der Neffe von Jakob,
Sohn von Wilhelm Grimm, hatte Biographien von Raffael und Michel-
angelo verfaßt, auch einiges über Goethe geschrieben. Seine Werke
standen nicht ganz auf der Höhe der sehr guten Meinung, die er von
sich hatte. Er erzählte vor Mommsen, daß unter der Leitung von Stephan
die deutsche Post staunenswerte Fortschritte mache. Vor einigen Tagen
sei ein Brief aus Amerika richtig und pünktlich in seine Hände gelangt,
der als Adresse nur die beiden Worte getragen habe: „Grimm, Europa.“
Darauf Mommsen mit einem unbeschreiblich boshaften Blick :: „„In Amerika
scheint man nicht zu wissen, daß Jakob Grimm lange tot ist.“ Herman
Grimm war mit Gisela von Arnim, der Tochter Bettinas von Arnim,
des Goetheschen „Kindes“, verheiratet. Sie versuchte die Originalität
ihrer Mutter zu kopieren, aber ohne deren Geist und Temperament
zu besitzen.
Die Stimmung in Italien war während meines ersten Aufenthalts in dem
Bel paöse für Deutschland sehr freundlich. Es hing das auch damit zusam-
men, daß der Ton der französischen Presse gegenüber Italien sehr gehässig
war. Der dem italienischen Nationalstaat feindliche Klerikalismus übte in
Frankreich noch große Macht aus. Ausgesprochene Klerikale, wie der
Herzog von Broglie, der Herzog Decazes, General Cissey und Fourton,
saßen in der Regierung. Der Präsident der Republik, der Marschall Mac
Mahon, war ein gläubiger Katholik und innerlich Legitimist. In ganz
Frankreich fanden unausgesetzt Wallfahrten statt, bei denen für die
Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes gebetet und
demonstriert wurde. In Civitavecchia lag die französische Fregatte
„Orenoque“, um den Papst, wenn er des französischen Schutzes
bedürfen sollte, in Sicherheit zu bringen. Da sich gleichzeitig infolge
des deutschen Kulturkampfes das Verhältnis zwischen dem jungen
Deutschen Reich und dem Päpstlichen Stuhl verschlechtert hatte und
Papst Pius IX. seiner Unzufriedenheit über das Vorgehen der deutschen
Regierung lauten und sehr ungenierten Ausdruck gab, fühlten sich die
italienischen Patrioten doppelt zu Deutschland hingezogen. Die italienische
Regierung aber hütete sich wohl, die deutsche Kulturkampfpolitik
nachzuahmen. Sie enthielt sich aller Eingriffe in das innere Leben der
katholischen Kirche.