334 HERR VON KANITZ
tüchtiger und allgemein beliebter Mann. Zum Besuch weilte in Rom der
Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, unser jetziger Kronprinz. Er war im
Caffarelli abgestiegen. Am Abend sollte ein großes Diner stattfinden. Alle
eingeladenen Gäste waren gekommen. Auch Prinz Friedrich Wilhelm war
schon erschienen. Nur der Gastgeber fehlte. Endlich trat er ein. Aber wie!
Er erschien in dem Anzug, in dem die römischen Fuchsjagden geritten
werden, also in rotem Rock, weißen Breeches und Stulpenstiefeln, eine
Hetzpeitsche in der Hand. Natürlich war alle Welt starr. Nur einer der
Anwesenden bewahrte seine Geistesgegenwart, der damalige französische
Gesandte, der Herzog Agenor von Gramont. Der hat erst viel später den
Kopf verloren, nämlich am 6. Juli 1870, als er seine dumme, provozierende
Rede im Pariser Gesetzgebenden Körper hielt. Damals in Rom behielt er
allein den Kopf oben. Er faßte den ihm persönlich befreundeten Herrn von
Kanitz unter den Arm, flüsterte ihm zu, er habe ihm etwas sehr Wichtiges
und Vertrauliches mitzuteilen, und brachte ihn in dieses kleine Zimmer.
Dort blieb Kanitz die ganze Nacht, bewacht von dem trefflichen Kanzleirat
Schulze, der noch lebt und den Sie täglich unter einer Palme vor der Casa
Tarpeia sitzen sehen können, mit einer langen deutschen Pfeife im Munde.
Der arme Kanitz ist übrigens wieder ganz bei Trost. Als ich im vorigen
Winter bei einem Diner neben ihm saß, erzählte er mir seine ganze Leidens-
geschichte und schloß mit den Worten: ‚Daß ich Ihnen das alles sage,
beweist Ihnen, daß ich gar nicht mehr verrückt bin.“ Ich sprach der
Fürstin auch von dem armen Friedrich Wilhelm IV., der als gemütskranker
Mann, nachdem er seinen Bruder Wilhelm mit seiner Stellvertretung betraut
hatte, einige Wochen in Caffarelli weilte und in der erhabenen Größe der
römischen Trümmerwelt Trost und Erholung fand.
Während ich noch im besten Erzählen war, näherte sich der schönen
Fürstin ihr Gemahl. Wie das leider bisweilen der Fall ist, stand er in keiner
Weise auf der Höhe seiner Frau, weder als äußere Erscheinung noch an
innerem Wert. Es schien ihr nicht erwünscht, daß er das Zeichen zum Auf-
bruch gab. Sie drückte mir die Hand und gab der Hoffnung Ausdruck, daß
ich sie auch in den nächsten Tagen als Cicerone führen würde, aber nicht
durch die Säle des Caffarelli, sondern durch das Ewige Rom. Ich erwiderte,
daß mir das leider unmöglich sei, ich würde mich am nächsten Morgen ganz
früh nach Albano begeben. „Und warum ?“ fragte sie. Ich erwiderte, daß
ich dort in völliger Abgeschiedenheit und Stille eine Arbeit über die
italienischen Finanzen für das mir bevorstehende diplomatische Examen
verfassen wolle. Nicht ohne Gereiztheit erwiderte sie: „‚Sie ziehen also dem
Verkehr mit mir Ihre lederne Prüfungsarbeit vor.‘ Ohne mir die Hand zu
reichen, verließ sie mit ihrem Gatten das Fest. Die Empfindung, mit der
ich mich von ihr trennte, war unklar. Ich hatte vor allem den Eindruck,