DER DEUTSCHE RICHELIEU 341
anderer Meinung war, gab er seiner Auffassung ruhigen und bestimmten,
aber freundlichen, beinahe bescheidenen Ausdruck. Als die Rede auf den
Deutsch-Französischen Krieg kam, erzählte er einige Episoden aus den
Schlachten von Wörth und Weißenburg, ohne Prahlerei noch Überhebung.
Von seinem persönlichen Verhalten sprach er gar nicht, nur von der
Tapferkeit der Truppe. Mit Wärme und großer Entschiedenheit betonte er
seine friedliche Gesinnung und daß er mit seinem Vater und Bismarck
ganz darin übereinstimme, daß es die erste Pflicht der Regierung und das
vornehmste Bedürfnis unseres Volkes sei, den Frieden mit Ehren auf-
rechtzuerhalten.
Als sich der Kronprinz im Laufe des Tages zurückzog, um sich vor der
Ankunft in Neapel eine Stunde auzuruhen, kam ich in ein längeres Ge-
spräch mit seinen beiden Adjutanten. Sie waren des Lobes voll über ihren
Prinzen, und dies Lob kam, wie ich fühlte, aus aufrichtigem Herzen. „Ein
Löwe in der Schlacht und dabei ein gütiges, ja weiches Herz! Streng in
allen Fragen der Sittlichkeit und dennoch ohne Vorurteil.“ Sie erzählten
mir, daß der Kronprinz 1866 wie 1870, so oft er konnte, die Verwundeten
besuchte, wie er auch stets bemüht gewesen sei, die Bevölkerung des
feindlichen Landes die harten Seiten des Krieges möglichst wenig fühlen
zu lassen.
Ich hatte in Berlin oft sagen hören, der Kronprinz sei kein Freund des
Fürsten Bismarck. Um so mehr freute es mich, aus dem eigenen Munde
des hohen Herrn Worte der Anerkennung und der Bewunderung für den
Fürsten Bismarck zu hören. Er erwähnte eine feine Äußerung seines
Öheims, des Großherzogs Karl Alexander von Weimar, der, als man
Bismarck einmal Härte und Schlimmeres vorwarf, geantwortet habe: „Man
muß einen Michelangelo nicht mit dem Maßstab eines Watteau messen.“
Der Kronprinz selbst verglich Bismarck mit Richelieu. Man könne Richelieu
manche Vorwürfe machen, sein Verhalten gegenüber Cing-Mars und anderen
seiner Gegner beklagen und tadeln, er bleibe doch immer einer der größten
Staatsmänner aller Zeiten. Mit leiser Stimme fügte er hinzu, zu Keudell
gewandt: „Ich bin, besonders in Fragen der inneren Politik, oft anderer
Meinung gewesen als Bismarck. Er ist mir zu schroff, fast rücksichtslos
entgegengetreten. Er ist überhaupt kein bequemer Minister. Aber wir
dürfen nie vergessen, was unser Haus und Deutschland ihm schulden. Sich
von ihm zu trennen, würde ich, wie die Dinge bei uns und in der Welt
liegen, für ein Verbrechen halten.“
In Neapel angelangt, wo der Kronprinz von einer zahlreichen Volks-
menge mit Jubel begrüßt wurde, stattete er dem König Viktor Emanuel
einen langen Besuch ab, über den er uns am Abend allerlei erzählte. Der
Kronprinz charakterisierte den König nicht übel als einen Gemsjäger, das
Der
Kronprinz
über Bismarck