DAS SEDAN-LÄCHELN 345
leider so manche an Engländer verheiratete deutsche Frauen, legte sie,
nachdem sie geheiratet hatte, einen outrierten englischen Chauvinismus an
den Tag. Viel belacht wurde die Antwort, die Madame de Corcelle, die
Gattin des französischen Botschafters beim Päpstlichen Stuhl, dem Papst
Pio IX gegeben hatte. Der Papst hatte in einer ihr gewährten Audienz
lebhafte Klage über die seit dem Einmarsch der Italienerin Rom herrschende
gesellschaftliche Spaltung zwischen den Schwarzen, den Päpstlich-, und
den Weißen, den Königlichgesinnten, geführt. Die für ihre Zerstreutheit
berühmte Botschafterin erwiderte: ,„C’est bien triste, mais tout cela va
changer avec la mort du Pape.“
Als der interessanteste unter den damals in Italien weilenden Deutschen
erschien mir der Publizist und Historiker Karl Hillebrand. Als zwanzig-
jähriger Jüngling hatte er sich 1849 an dem badischen Aufstand beteiligt
und war nach dessen Niederwerfung nach Frankreich geflohen, wo er in
Douay als Lehrer der deutschen Sprache und Literatur angestellt wurde.
Ich hatte ihn schon bei meiner Durchreise durch Florenz besucht, wohin er
nach dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges übergesiedelt war.
Wenn er von dort nach Rom kam, hatte er meist die Freundlichkeit, bei
mir vorzusprechen. Sein Buch über Frankreich und die Franzosen gehört
zu dem psychologisch Feinsten, was über unsere Nachbarn jenseits der
Vogesen geschrieben worden ist. Auch seine in deutschen und italienischen
Revuen publizierten Essays sind kleine Meisterstücke. Bei unsern Ge-
sprächen im Winter 1874/75 warnte er vor Übermut gegenüber unserm
besiegten Gegner, dessen leidenschaftlichen Patriotismus er immer wieder
betonte, auch seine Fähigkeit, in der Stunde der Gefahr einem ent-
schlossenen Führer in einheitlicher Front ohne kleinliche Kritik zu folgen.
Er meinte, daß seit den großen Siegen der Bismarckschen Ära wir Deutsche
uns ein wenig überschätzten. Mancher biedere Deutsche spreche so, als ob
er selbst Sadowa und Sedan gewonnen und die Politik von 1862 bis 1871
gemacht hätte. Das ‚„‚Sedan-Lächeln‘“, mit dem der deutsche Philister, der
früher zu übertriebener Demut geneigt habe, jetzt im Ausland auftrete,
mache uns keine Freunde. Unsere Riesenerfolge seien das Werk von
Bismarck und Moltke, zwei ganz großen, sehr ungewöhnlichen Genies.
Bismarck habe seine foudroyanten Erfolge gegen den Widerspruch der
deutschen öffentlichen Meinung, im Kampf mit dem Widerstand der
Liberalen, fast aller Intellektuellen erfochten. Karl Hillebrand rühmte die
hohen Verdienste des alten Kaisers, der auf der Armee-Reorganisation
bestanden und trotz des Tobens unverständiger Demokraten an seinem
großen Minister festgehalten habe. „Man kann darüber streiten, ob das
Hauptverdienst an einer schönen Statue dem Künstler gebührt, der sie
formt, oder dem Mäzen, der ihm den Auftrag gab. Aber was würde man
Karl
Hillebrand