Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER EIFERSÜCHTIGE GORTSCHAKOW 349 
Österreich, England und Frankreich, Rußland und England, ist bei der 
Kompliziertheit der diese Staaten teils verbindenden, teils trennenden 
politischen und wirtschaftlichen Interessen kaum noch möglich. Das alles 
mahnt zur Vorsicht.“ 
So mein Vater in der Behrenstraße. Schließlich sagte er mir noch, daß 
leider Fürst Bismarck aus Stuttgart Kenntnis von einem Telegramm 
erhalten habe, das Kaiser Alexander II. am Tage seiner Abreise von Berlin 
nach Ems an seine Schwester, die Königin Olga von Württemberg, gerichtet 
und das gelautet habe: ‚J’ai arr&te l’emporte de Berlin.“ Das habe 
den Fürsten Bismarck geärgert. Noch mehr habe ihn gereizt, daß Gor- 
tschakow einer Reihe von Journalisten und Diplomaten in Berlin gesagt 
habe, er habe den europäischen Frieden gerettet (,„J’ai sauve la paix de 
l’Europe“). Als wir uns trennten, äußerte mein Vater noch, Gortschakow 
sei nicht ohne Eifersucht auf Bismarck. Als Bismarck, um ihn zu beruhigen, 
ihm neulich durch unseren Botschafter in St. Petersburg, den Prinzen 
Heinrich VII. Reuß, habe sagen lassen, er betrachte sich nach wie vor als 
den Schüler von Gortschakow, habe der russische Kanzler sauersüß 
geantwortet: „Oui, comme Raffael etait l’eleve du Perugino.‘“‘ Mein Vater 
schloß: „In dem persönlichen Verhältnis zwischen Bismarck und Gor- 
tschakow liegt eine Gefahr. Gortschakow ist nun einmal eitel wie ein Affe 
und empfindlich wie eine alte Jungfer. Und unser großer Bismarck ist zu- 
weilen zu heftig, ist rankünös und kann sein Temperament nicht immer 
zügeln.““ 
Ich glaube, es ist Larochefoucauld, der gesagt hat, daß durch die 
Trennung zweier Liebender schwache Gefühle erstickt, Leidenschaften 
gestärkt werden. Ein kleines Feuer wird vom Wind ausgelöscht, ein 
großes zu noch hellerem Brand entfacht. Als ich von Berlin nach dem 
Schloß fuhr, wo ich von der Fürstin Y. erwartet wurde, konnte ich mir nicht 
verhehlen, daß ich dem Wiedersehen mit meiner schönen römischen 
Freundin mit lebhafter Ungeduld entgegensah, daß also meine Gefühle für 
sie die Feuerprobe einer längeren Trennung bestanden hatten. Ich über- 
zeugte mich davon, daß es ihr ebenso ging. Wir fühlten uns hier nicht so 
unabhängig wie in Rom. Die Anwesenheit ihres stumpfsinnigen Gatten 
wirkte störend. Da er aber erfreulicherweise die Gewohnheit hatte, früh zu 
Bett zu gehen, so waren wir am Abend frei. Wir pflegten dann Arm in Arm 
um das alte Schloß zu wandeln, links hohe Schloßmauern, rechts schwei- 
gender, dunkler, geheimnisvoller Wald. Am westlichen Himmel leuchtete 
der Abendstern, Hesperos, der Venus goldener Stern. Als ich zu ihm auf- 
blickte, hob ich die Hand und flüsterte im Überschwang meiner Gefühle ihr 
zu: „Und wenn ich hundert Jahre alt werde, nie, nie, nie werde ich diese 
Stunde vergessen, niemals werde ich sie vergessen.“ Ach, der große Dichter
	        
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