Bülow nach
Varzin
eingeladen
350 HERBERT UND BILL BISMARCK
hat recht, wenn er sagt, daß Jupiter über die Schwüre der Verliebten lacht.
Wieviele solcher Schwüre hat er gehört, und wie wenige wurden gehalten!
Mein Aufenthalt in Y. war nur kurz. Ich mußte mich nach Varzin
begeben, wohin mich, wohl mehr aus Freundschaft für meine Eltern als
aus Interesse für meine noch sehr jugendliche Person, der Fürst und die
Fürstin Bismarck eingeladen hatten. Ich fand den großen Mann körperlich
sehr wohl. Er unternahm täglich mit mir und seinem Sohn Wilhelm lange
Spazierritte durch Feld und Wald, wobei ich die Rüstigkeit des schon
Sechzigjährigen bewunderte.
Seine Stimmung schien mir weniger gut. Ich hatte den Eindruck, daß
die Krieg-in-Sicht-Episode keine angenehme Erinnerung bei ihm hinter-
lassen hatte. Er sprach zwar verächtlich von dem Krieg-in-Sicht-Rummel,
kam aber immer wieder darauf zurück. Er schalt auf das Preßbüro, das
seine Instruktionen mit plumpem Übereifer und Ungeschick ausgeführt
habe. Er sprach sich auch tadelnd über den Geheimen Legationsrat Josef
von Radowitz aus, der damals in der Politischen Abteilung des Aus-
wärtigen Amtes arbeitete. Radowitz habe nach einem Diner auf der
Französischen Botschaft dem französischen Botschafter Gontaut-Biron im
Laufe eines längeren Gespräches durch unvorsichtige und jedenfalls über-
triebene Drohungen die Möglichkeit geboten, an die ihm nahestehende
russische Fürstin Obolensky zu schreiben, daß Deutschland einen Angriffs-
krieg gegen Frankreich plane. ‚Josef Radowitz‘“, meinte der Fürst, „hat
alle üblen Eigenschaften seines Vaters, des großen Komödianten Josef
Maria, und dazu noch die Schwäche, daß, wenn er ein Glas über den Durst
getrunken hat, er seine Zunge nicht mehr in der Gewalt hat. Die Eitel-
keit Gortschakows, der sich von der französischen Presse als Friedens-
engel bewundern und umschmeicheln lassen wollte, hat das übrige getan.
Ich werde Gortschakow diesen üblen Streich nicht vergessen. Ich werde es
ihm bei passender Gelegenheit heimzahlen.“
Herbert war verreist, dagegen weilte sein jüngerer Bruder Wilhelm, von
seiner Familie und von allen Bill genannt, bei seinen Eltern. Ich habe die
beiden Brüder oft zusammen gesehen. Wenn ich das Verhältnis zwischen
Herbert und Bill mit dem Gegensatz von Don Quixote und Sancho Pansa
vergleichen möchte, so soll darin keine Herabsetzung des einen oder des
anderen Bruders liegen, die beide, besonders Herbert, meinem Herzen sehr
nahe gestanden haben. Ich denke vielmehr bei dieser Gegenüberstellung an
ein schönes Wort von Richard Wagner, das er zu dem geistreichen und dabei
tief angelegten Grafen Arthur Gobineau sprach, dem Verfasser des „Essai
sur l’inegalit& des Races humaines“. Der Meister von Bayreuth sagte zu
seinem französischen Freund, Don Quixote sei eine der edelsten und
erhabensten Figuren der Weltliteratur, Sancho Pansa der unsterbliche