Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

AN DIE NEWA 361 
ihm aufgestiegen sein! Die junge Braut, pietistisch gerichtet wie ihre Mutter, 
flüsterte mir zu, Gott habe sie wohl dafür strafen wollen, daß sie ihren 
Bräutigam zu heiß geliebt hätte. Sie hat ihn tief und aufrichtig betrauert 
und erst mehrere Jahre später in einer harmonischen Ehe mit dem treff- 
lichen Grafen Kuno Rantzau Glück und Frieden gefunden, 
Einige Tage nach meiner diplomatischen Prüfung besprach mein Vater 
mit mir die Frage, wohin ich als Legationssekretär versetzt werden wolle. 
Er sagte mir, in St. Petersburg sei durch die schwere Erkrankung des 
Botschaftssekretärs Graf Bernhard Wartensleben eine Vakanz entstanden. 
Petersburg sei zur Zeit einer der interessantesten Posten. Der derzeitige 
Geschäftsträger in Petersburg, Graf Alvensleben, sei ein trefflicher 
Beamter und sehr geeignet, mich anzulernen. Wenn der auf Urlaub befind- 
liche Botschafter Prinz Heinrich VII. Reuß zurückkehrte, würde ich in 
ihm einen unserer hervorragendsten Diplomaten kennenlernen, der in Paris, 
München und jetzt in Petersburg glänzend abgeschnitten und namentlich 
während des Deutsch-Französischen Krieges Bedeutendes geleistet habe. 
Sollte Prinz Reuß nicht im Dienste bleiben, so würde wohl der General von 
Schweinitz sein Nachfolger werden, der ebenfalls ein erfahrener und dabei 
geschickter Diplomat von großer Bildung und weitem Horizont sei. 
Ich bat meinen Vater, mir die Sache überlegen zu dürfen. Was mich im 
stillen zu dieser Bitte veranlaßte, war die Rücksicht auf meine schöne 
Freundin, die Fürstin Y. Sie wünschte, daß ich, sofern ich nicht im Aus- 
wärtigen Amt bleiben könne, wenigstens einen deutschen Posten bekäme. 
Als Ideal schwebte ihr Dresden vor. Wie rührend egvistisch sind oft Frauen, 
wenn sie lieben. Als ich ihr sagte, daß St. Petersburg für mich in Frage käme, 
brach sie in Tränen aus. Eine Trennung bei so weiter Entfernung erschien 
ihr unerträglich. Auch fürchtete sie, daß ich mit meiner damaligen Neigung 
zu Halsleiden das russische Klima nicht vertragen würde. Sie fand es 
grausam, ja verbrecherisch von meinem Vater, mich dieser Gefahr auszu- 
setzen. In ihrer Angst und Liebe für mich suchte sie den preußischen Ge- 
sandten in Dresden auf, den liebenswürdigen Grafen Eberhard Solms, und 
bat ihn, nicht an den Staatssekretär, wohl aber an den Fürsten Bismarck 
selbst zu schreiben, daß ihm als Sekretär niemand so erwünscht sein würde 
wie der Legationssekretär Bernhard von Bülow. Sie gestand mir, daß sie 
dem nicht mehr ganz jungen, aber immer noch galanten Grafen Solms für 
den Fall, daß er ihre Wünsche erfülle, einen Kuß versprochen habe. Als 
Pfand und Vorauszahlung hatte sie ihm schon jetzt erlaubt, sie auf die 
Stirn zu küssen. Ich selbst stand wie Herkules am Scheidewege zwischen 
Ehrgeiz und Liebe. Statt „Liebe‘‘ müßte ich jugendliche Erregung setzen. 
Und mein Ehrgeiz war kein unedler, denn ich fühlte, daß es für meine 
diplomatisch-politische Ausbildung förderlich sein würde, schon in jungen 
Eine 
Vakanz in 
Petersburg
	        
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