PREUSSISCH-RUSSISCHE TRADITION 365
Herrscher über hundert Millionen Untertanen, nicht ohne Gereiztheit,
jedenfalls ungeduldig. Ich erwiderte mit militärischer Kürze, bestimmt und
sehr laut, das mecklenburg-schwerinsche Tapferkeitskreuz sei allerdings
vergoldet, das Strelitzer aber sei aus Silber. „Sehr interessant, wirklich
sehr interessant!“ meinte, zum General von Werder gewandt, der selbst-
herrschende Zar, der Zar Ssamodershez, und seine bis dahin strengen Züge
nahmen einen gütigen Ausdruck an. „Das habe ich wirklich nicht gewußt.“
Alexander II. sprach Deutsch mit hartem russischem Akzent, aber geläufig
und gern. Seitdem wurde ich bei jedem Raswod von Kaiser Alexander II.
angesprochen, kurz, aber gnädig, wozu mir Alvensleben und Werder
gratulierten.
Am Raswod nahm nach alter Tradition von ausländischen Missionen
nur die preußisch-deutsche Vertretung teil. Der Person des Zaren war
seit den Freiheitskriegen, wo Preußen und Russen siegreich Schulter an
Schulter gefochten hatten, ein Adjutant des Königs von Preußen attachiert,
der sich der russischen Suite anschloß. Umgekehrt war ständig zum Könige
von Preußen ein russischer Flügeladjutant kommandiert.
Seit dem Frühjahr 1870 fungierte in St. Petersburg der General von
Werder, General ä la suite des Deutschen Kaisers. Bernhard von Werder
war eine echt preußische, eine echt militärische Erscheinung. Kerzengerade
stand Werder da, mit durchgedrückten Knien und durchgedrücktem Kreuz,
so gerade, als ob er einen Ladestock verschluckt hätte. So aufrecht hatte er,
für alle ein Vorbild, im Kugelregen von Königgrätz dagestanden wo er sich
als Kommandeur der Gardefüsiliere den damals sehr selten gegebenen Orden
pour le merite verdiente. So gerade und aufrecht stand er noch vierzig Jahre
später da, im Juli 1906, bei der Taufe des ältesten Sohnes des Kronprinzen,
wo ich Werder zum letztenmal sah. Er hatte 1831 als Page der Taufe des
nachmaligen Kaisers Friedrich beigewohnt und wollte 1906 bei der Taufe
von dessen Urenkel nicht fehlen. Der aufrechten Haltung des Generals
entsprach seine aufrechte Gesinnung. Er war durch und durch vornehm,
wahrhaftig und unabhängig. Dieser Gesinnung verdankte er das unbedingte
Vertrauen, das nicht nur sein eigener Souverän, Kaiser Wilhelm I., sondern
auch Kaiser Alexander II.von Rußland ihm schenkte. Auch Kaiser
Alexander III., der nicht sentimental war und die Deutschen im allgemeinen
nicht besonders goutierte, empfand für Werder eine fast zärtliche Achtung.
Am Ende der achtziger Jahre wußte jeder in Petersburg und insbesondere
bei Hofe, daß Kaiser Alexander III. den Bulgarenfürsten Alexander
Battenberg nicht ausstehen konnte. Ich brauche kaum hinzuzufügen,
daß bei solcher allerhöchsten Stimmung viele Höflinge dem Zaren dadurch
zu gefallen suchten, daß sie schlecht von Alexander Battenberg sprachen.
Als an der kaiserlichen Tafel wieder einmal über den Battenberger räsoniert
Bernhard
v. Werder