Alexan-
der III. und
seine Gattin
366 DER ZAREWITSCH
wurde, erklärte der General von Werder, der neben dem Zaren saß, mit
lauter Stimme und indem er diesem fest in die Augen sah: „Und ich sage,
daß ich den Fürsten Alexander liebe und schätze, denn er hat sich im Felde
gut gehalten und war auch persönlich nett zu mir. Eure Majestät sollten zu
Ihrem leiblichen Vetter netter sein.‘“ Alles schwieg, aber Alexander III.
legte dem preußischen General seine breite Hand auf die Schulter und
sagte zu ihm: „Werder, Sie sind der weitaus beste Mensch an diesem Tisch.“
Fürst Bismarck mochte Werder nicht, hatte aber darin unrecht. Gerade
durch seine ehrliche und offene Art hat Werder am besten die Aufrecht-
erhaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen uns und Rußland
gefördert, die Bismarck innerlich immer als eine Lebensfrage für Deutsch-
land betrachtete.
Unter den in Petersburg akkreditierten Diplomaten fand ich einen alten
Freund wieder. Herr von Wind, einst in der Bundestagszeit Sekretär
meines Vaters in Frankfurt am Main, war inzwischen zum dänischen
Gesandten in St. Petersburg aufgerückt. Er hieß mich, als ich ihn aufsuchte,
herzlich willkommen und hat sich mir in mancher Hinsicht nützlich ge-
macht. Er stellte mich der späteren Kaiserin Maria Feodorowna vor, die
sich freundlich daran erinnerte, daß wir als Kinder zusammen gespielt
hatten, in Rumpenheim am Main, als sie noch die vierzehnjährige Prin-
zessin Dagmar von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg war. Ich
lernte auf diese Weise schon damals ihren Gatten, den nachmaligen Kaiser
Alexander III. kennen.
Der breitschultrige, stämmige Mann galt für deutschfeindlich. Er
mag gefunden haben, daß sein Vater die Hinneigung zu Preußen-Deutsch-
land übertriebe. Er war zweifellos weniger distinguiert als dieser, auch
weniger international. Ich hatte aber schon 1876 den Eindruck, daß der
spätere Kaiser Alexander III. nicht sowohl antideutsch als überhaupt
fremdenfeindlich war und, dem Zug der Zeit folgend, echt russische
Allüren und Gesinnung zur Schau trug. Nicht nur die Fürstenhäuser,
sondern vor allem die Völker wurden im Laufe des neunzehnten Jahr-
hunderts mit jedem Jahrzehnt nationalistischer. Schon in den fünfziger
Jahren hatte Grillparzer geklagt: „Von Humanität durch Nationalität zur
Bestialität.‘“ Der Weltkrieg wäre dem größten deutsch-österreichischen
Dichter als die Bestätigung seiner trüben Prophezeiung erschienen. Wir
wollen aber nicht vergessen, daß die nationalistische Bewegung weniger
durch die lange international gebliebenen Fürstenhäuser und die diesem
Beispiel folgende Aristokratie gefördert wurde als durch Literatur und
Presse, durch Professoren und Parlamentarier. Wir dürfen vor allem nicht
vergessen, daß, soweit von Nationalismus in Deutschland die Rede war
und noch ist, er durch die Raubzüge der Franzosen ins Leben gerufen