Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Herzog Georg 
von Mecklen- 
burg 
Großfürst 
Michael 
378 ZAREN 
gestattet, daß sie dem Kaiser Wilhelm I. nichts über diesen ganzen Vorgang 
schreibe. Was damals der Gräfin Hendrikow geschah, sollte zweiundvierzig 
Jahre später mancher Dame der Petersburger Gesellschaft, nur in noch 
weit roherer Form, von Seiten der Bolschewisten widerfahren. Tragisch ist 
der Fall der Gräfin Marie Kleinmichl, die mir ihre Erlebnisse selbst be- 
richtet hat. Auch sie wurde nachts von Gendarmen aus ihrer Wohnung 
geholt, auf einen Schlitten gesetzt und abgeschoben. Nur mit dem Unter- 
schied, daß die bolschewistischen Gendarmen, die sie arretierten, der 
siebzigjährigen Frau nicht einmal einen Pelz ließen, sie auch nicht auf eines 
ihrer Güter brachten, sondern vor Gericht stellten, wo sie mit knapper Not 
dem Tod entging. Als sie, vor Kälte zitternd, unter Berufung auf ihr hohes 
Alter um ihren Pelz bat, fuhr sie der die Gerichtsverhandlung leitende 
Bolschewist, ein Schlingel von kaum zwanzig Jahren, mit den Worten an: 
„Schämen Sie sich Ihres Alters, Bürgerin Maria Eduardowna! Prole- 
tarierinnen werden nicht so alt.“ 
Ich habe schon einmal den Herzog Georg von Mecklenburg- 
Strelitz erwähnt, der sich 1851 mit der Großfürstin Katharina Michai- 
lowna von Rußland vermählt hatte und gleichzeitig in russische Dienste 
getreten war. Obgleich er als strenger Legitimist die Politik des Fürsten 
Bismarck und namentlich die Annexionen von 1866 mißbilligte, blieben 
seine freundschaftlichen Beziehungen zu meinem Vater die gleichen, als 
dieser in preußische Dienste getreten und zum Staatssekretär des Aus- 
wärtigen Amtes ernannt worden war. Ich fand in seinem Hause freundliche 
Aufnahme. Er hatte Verstand und Humor. Die Schilderungen, die er mir 
von Kaiser Nikolaus I. und dessen Zeit entwarf, waren interessant. Sein 
Schwiegervater, der Großfürst MichaelPawlowitsch, war der jüngste 
Bruder des Kaisers Nikolaus I. In ihm verkörperte sich wie in kaum einem 
anderen Mitglied der kaiserlichen Familie der Geist des Gamaschendienstes 
der Nikolaitischen Ära. Kaiser Nikolaus liebte enge Hosen. Als sich sein 
jüngerer Bruder einmal ein Paar neue Reithosen bestellt hatte, sagte er zu 
dem französischen Schneider, der sie ihm brachte: „Si je peux entrer dans 
vos pantalons, je ne les prends pas.“ Der Großfürst Michael Pawlowitsch 
erinnerte in manchem an seinen Vater, den Kaiser Paul, hatte aber nicht 
die Möglichkeit, sich so auszuleben wie dieser. Der Herzog Georg war voll von 
Anekdoten über den Vater seines Schwiegervaters. Zwei sind mir in Erinne- 
rung geblieben. Die eine ist der prägnanteste Ausdruck des despotischen 
Absolutismus, der mir je vorgekommen ist: Kaiser Paul besichtigte einst am 
frühen Morgen eine Kadettenanstalt. Er stellte einen Verstoß gegen eine 
seiner zahlreichen Verordnungen fest und dekretierte: „Der Kommandant 
der Anstalt erhält vierundzwanzig Stunden Arrest.‘“ Sehr verlegen meldete 
ihm sein diensttuender Generaladjutant, daß er vergessen habe, Seiner
	        
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