Herzog Georg
von Mecklen-
burg
Großfürst
Michael
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gestattet, daß sie dem Kaiser Wilhelm I. nichts über diesen ganzen Vorgang
schreibe. Was damals der Gräfin Hendrikow geschah, sollte zweiundvierzig
Jahre später mancher Dame der Petersburger Gesellschaft, nur in noch
weit roherer Form, von Seiten der Bolschewisten widerfahren. Tragisch ist
der Fall der Gräfin Marie Kleinmichl, die mir ihre Erlebnisse selbst be-
richtet hat. Auch sie wurde nachts von Gendarmen aus ihrer Wohnung
geholt, auf einen Schlitten gesetzt und abgeschoben. Nur mit dem Unter-
schied, daß die bolschewistischen Gendarmen, die sie arretierten, der
siebzigjährigen Frau nicht einmal einen Pelz ließen, sie auch nicht auf eines
ihrer Güter brachten, sondern vor Gericht stellten, wo sie mit knapper Not
dem Tod entging. Als sie, vor Kälte zitternd, unter Berufung auf ihr hohes
Alter um ihren Pelz bat, fuhr sie der die Gerichtsverhandlung leitende
Bolschewist, ein Schlingel von kaum zwanzig Jahren, mit den Worten an:
„Schämen Sie sich Ihres Alters, Bürgerin Maria Eduardowna! Prole-
tarierinnen werden nicht so alt.“
Ich habe schon einmal den Herzog Georg von Mecklenburg-
Strelitz erwähnt, der sich 1851 mit der Großfürstin Katharina Michai-
lowna von Rußland vermählt hatte und gleichzeitig in russische Dienste
getreten war. Obgleich er als strenger Legitimist die Politik des Fürsten
Bismarck und namentlich die Annexionen von 1866 mißbilligte, blieben
seine freundschaftlichen Beziehungen zu meinem Vater die gleichen, als
dieser in preußische Dienste getreten und zum Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amtes ernannt worden war. Ich fand in seinem Hause freundliche
Aufnahme. Er hatte Verstand und Humor. Die Schilderungen, die er mir
von Kaiser Nikolaus I. und dessen Zeit entwarf, waren interessant. Sein
Schwiegervater, der Großfürst MichaelPawlowitsch, war der jüngste
Bruder des Kaisers Nikolaus I. In ihm verkörperte sich wie in kaum einem
anderen Mitglied der kaiserlichen Familie der Geist des Gamaschendienstes
der Nikolaitischen Ära. Kaiser Nikolaus liebte enge Hosen. Als sich sein
jüngerer Bruder einmal ein Paar neue Reithosen bestellt hatte, sagte er zu
dem französischen Schneider, der sie ihm brachte: „Si je peux entrer dans
vos pantalons, je ne les prends pas.“ Der Großfürst Michael Pawlowitsch
erinnerte in manchem an seinen Vater, den Kaiser Paul, hatte aber nicht
die Möglichkeit, sich so auszuleben wie dieser. Der Herzog Georg war voll von
Anekdoten über den Vater seines Schwiegervaters. Zwei sind mir in Erinne-
rung geblieben. Die eine ist der prägnanteste Ausdruck des despotischen
Absolutismus, der mir je vorgekommen ist: Kaiser Paul besichtigte einst am
frühen Morgen eine Kadettenanstalt. Er stellte einen Verstoß gegen eine
seiner zahlreichen Verordnungen fest und dekretierte: „Der Kommandant
der Anstalt erhält vierundzwanzig Stunden Arrest.‘“ Sehr verlegen meldete
ihm sein diensttuender Generaladjutant, daß er vergessen habe, Seiner