Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

ZARIN MARIA 38l 
Sarg legen lassen, der dann mit großem Pomp nach Petersburg überführt 
worden sei. Kaiser Alexander I. selbst habe sich in ein ganz entferntes 
Kloster zurückgezogen, wo er als frommer, seine Sünden abbüßender 
Mönch noch viele Jahre gelebt habe. 
Sobald er den Tod des Kaisers Paul erfahren hatte, war Graf Pahlen in 
alle Kasernen gefahren und hatte die Truppen dem Kaiser Alexander 
Pawlowitsch Treue schwören lassen. Dann suchte er die Witwe Seiner 
Majestät, die Kaiserin Maria Feodorowna, auf. Als sie den Tod ihres hohen 
Gemahls erfuhr, machte sie ein sehr betrübtes Gesicht, faßte sich aber bald 
und erklärte Pahlen, sie setze voraus, daß, wie neununddreißig Jahre früher 
auf Kaiser Peter Ill. die Kaiserin Katharina gefolgt sei, so jetzt sie als 
Kaiserin Maria die Zügel ergreifen würde. Sie erwarte die Minister zum 
Vortrag. Die Truppen möchten sofort vereidigt werden. Mit höhnischem 
Lächeln erwiderte Graf Pahlen, daß die Truppen bereits dem Kaiser 
Alexander Pawlowitsch Treue geschworen hätten und die Minister der 
Befehle Seiner Majestät harrten. Die Kaiserin verlor einen Augenblick ihre 
fürstliche Haltung und schleuderte dem Grafen Pahlen die Worte ins 
Gesicht: „Vous avez assassine l’Empereur, votre Maitre.‘“ Als Graf Pahlen 
sich stumm und kalt verbeugte, zog die ehrgeizige, stolze und schöne Frau 
sich in ihre Gemächer zurück. Sie hat diese Enttäuschung innerlich nie 
überwunden, obwohl Kaiser Alexander I. ebenso wie Kaiser Nikolaus, ihre 
beiden Söhne, sie bis an ihr Lebensende mit ritterlicher Courtoisie behan- 
delten. Sie behielt als Kaiserin-Mutter den ersten Rang am Hofe, vor der 
regierenden Kaiserin, eine Rangordnung, die in Rußland eine stehende 
blieb. Alexander I. übertrug ihr die Oberaufsicht über die von ihr schon 
gegründeten oder noch zu gründenden Wohltätigkeitsanstalten und Er- 
ziehungsinstitute, die bis zum Sturz des Hauses Romanow den Namen 
„Wohltätigkeitsanstalten und edle Stiftungen der in Gott ruhenden 
Kaiserin Maria Feodorowna“ trugen. Kaiser Nikolaus bereitete ihr großes 
Vergnügen, als er ihr nicht lange nach seiner Thronbesteigung das Garde- 
korps in Parade vorführte. 
Die Schwiegermutter des Herzogs Georg von Strelitz, die Großfürstin 
Helene Pawlowna, eine württembergische Prinzessin, war eine bedeu- 
tende, geistig hochstehende Frau. Von ihr stammt das melancholische 
Wort, daß Petersburg die Stadt der feuchten Straßen und der kalten 
Herzen wäre. Ihr Haus war schon in der harten Nikolaitischen Ära und 
erst recht unter dem milderen Alexander II. ein Mittelpunkt für Gelehrte, 
Künstler und alle Intellektuellen. Sie war durchaus liberal und unterstützte, 
wo und wie sie konnte, liberale Ideen und Reformen. Aber sie beklagte es, 
daß das junge Rußland, die russischen Liberalen, mehr und mehr über- 
spannten nationalistischen Ideen huldigten, nach außen chauvinistisch auf- 
Helene 
Pawlowna
	        
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