ZARIN MARIA 38l
Sarg legen lassen, der dann mit großem Pomp nach Petersburg überführt
worden sei. Kaiser Alexander I. selbst habe sich in ein ganz entferntes
Kloster zurückgezogen, wo er als frommer, seine Sünden abbüßender
Mönch noch viele Jahre gelebt habe.
Sobald er den Tod des Kaisers Paul erfahren hatte, war Graf Pahlen in
alle Kasernen gefahren und hatte die Truppen dem Kaiser Alexander
Pawlowitsch Treue schwören lassen. Dann suchte er die Witwe Seiner
Majestät, die Kaiserin Maria Feodorowna, auf. Als sie den Tod ihres hohen
Gemahls erfuhr, machte sie ein sehr betrübtes Gesicht, faßte sich aber bald
und erklärte Pahlen, sie setze voraus, daß, wie neununddreißig Jahre früher
auf Kaiser Peter Ill. die Kaiserin Katharina gefolgt sei, so jetzt sie als
Kaiserin Maria die Zügel ergreifen würde. Sie erwarte die Minister zum
Vortrag. Die Truppen möchten sofort vereidigt werden. Mit höhnischem
Lächeln erwiderte Graf Pahlen, daß die Truppen bereits dem Kaiser
Alexander Pawlowitsch Treue geschworen hätten und die Minister der
Befehle Seiner Majestät harrten. Die Kaiserin verlor einen Augenblick ihre
fürstliche Haltung und schleuderte dem Grafen Pahlen die Worte ins
Gesicht: „Vous avez assassine l’Empereur, votre Maitre.‘“ Als Graf Pahlen
sich stumm und kalt verbeugte, zog die ehrgeizige, stolze und schöne Frau
sich in ihre Gemächer zurück. Sie hat diese Enttäuschung innerlich nie
überwunden, obwohl Kaiser Alexander I. ebenso wie Kaiser Nikolaus, ihre
beiden Söhne, sie bis an ihr Lebensende mit ritterlicher Courtoisie behan-
delten. Sie behielt als Kaiserin-Mutter den ersten Rang am Hofe, vor der
regierenden Kaiserin, eine Rangordnung, die in Rußland eine stehende
blieb. Alexander I. übertrug ihr die Oberaufsicht über die von ihr schon
gegründeten oder noch zu gründenden Wohltätigkeitsanstalten und Er-
ziehungsinstitute, die bis zum Sturz des Hauses Romanow den Namen
„Wohltätigkeitsanstalten und edle Stiftungen der in Gott ruhenden
Kaiserin Maria Feodorowna“ trugen. Kaiser Nikolaus bereitete ihr großes
Vergnügen, als er ihr nicht lange nach seiner Thronbesteigung das Garde-
korps in Parade vorführte.
Die Schwiegermutter des Herzogs Georg von Strelitz, die Großfürstin
Helene Pawlowna, eine württembergische Prinzessin, war eine bedeu-
tende, geistig hochstehende Frau. Von ihr stammt das melancholische
Wort, daß Petersburg die Stadt der feuchten Straßen und der kalten
Herzen wäre. Ihr Haus war schon in der harten Nikolaitischen Ära und
erst recht unter dem milderen Alexander II. ein Mittelpunkt für Gelehrte,
Künstler und alle Intellektuellen. Sie war durchaus liberal und unterstützte,
wo und wie sie konnte, liberale Ideen und Reformen. Aber sie beklagte es,
daß das junge Rußland, die russischen Liberalen, mehr und mehr über-
spannten nationalistischen Ideen huldigten, nach außen chauvinistisch auf-
Helene
Pawlowna