Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

XXVIH. KAPITEL 
Rückkehr nach Berlin » Staatssekretär von Bülow über die auswärtige Lage - Ver- 
setzung nach Wien » Botschafter Graf Otto Stolberg-Wernigerode - Das offizielle Wien: 
Freiherr von Schmerling, Fürst Richard Metternich, Graf Hübner - Die politische 
Stimmung gegenüber dem Deutschen Reich » Bismarck und die deutsch-österreichischen 
Liberalen -» Graf Gyula Andrässy - Unruhen in Saloniki +» Begegnung des Kaisers 
Alexander II. mit Kaiser Franz Josef in Reichstadt (5. VII. 1876) - Türkische Greuel- 
taten in Bulgarien 
ls ich Ende April wieder in Berlin eintraf und meinem Vater die Grüße 
des Fürsten Gortschakow übermittelte, meinte er lächelnd: ‚Der alte 
Geck ist wohl noch ebenso eitel wie vor einem Vierteljahrhundert. Habeat 
sibi! Worauf es ankommt, ist, daß kleine und kleinliche Eifersüchteleien, 
Empfindlichkeiten und Friktionen zwischen ihm und Bismarck nicht zu 
sachlichen, politischen Gegensätzen zwischen uns und unseren östlichen 
Nachbarn führen, die unberechenbare Konsequenzen haben könnten.“ 
Mein Vater gab mir einen längeren Überblick über die politische Situation 
und schloß seine Darlegung mit den nachstehenden, in die bei ihm ge- 
wohnte klare und knappe Form gebrachten Sätzen: 1. „Das Ideal des 
Fürsten Bismarck ist nach wie vor das Dreikaiserbündnis, das Bündnis 
zwischen uns, Rußland und Österreich. Dieses Bündnis wünscht er aus 
Gründen der äußern wie der innern Politik. Also, wenn du willst, ein Drei- 
gespann, eine Troika, wie du sie jetzt in Rußland gesehen hast. Österreich 
ist dabei das dritte Pferd.“ 2. „Bismarck ist im allgemeinen kein Freund 
von Allianzen. Er hat in seiner allergrößten Zeit, das heißt von 1862 bis 
1871, wo er, wie man wohl sagen kann, keinen einzigen diplomatischen 
Schnitzer gemacht hat, nur ein Bündnis abgeschlossen, ein befristetes 
Bündnis, ein Bündnis ad hoc, das Abkommen mit Italien für den Krieg 
gegen Österreich. Bismarck will sich immer freie Hand wahren. Er sagt ja 
selbst, daß sich Staaten und Staatslenker auch durch das feierlichste 
Bündnis nur so lange binden können und dürfen, als Tendenz und Wirkung 
dieses Bündnisses nicht in Widerspruch mit der Staatsräson des eigenen 
Landes treten. Das Bündnis, das Bismarck freilich gern abschließen würde, 
wäre ein Bündnis mit Rußland unter und zu gegenseitiger Garantie des 
Besitzstandes der beiden Reiche. Ich fürchte aber, daß Gortschakow sich 
25 Bülow IV 
Europa 1876
	        
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