BISMARCK-CORIOLAN 393
„demokratisch-spießbürgerliche Nörgelsucht‘“ zu sehr die Zügel schießen
lassen. „Was willst du‘, hatte mein Vater gemeint, als ich ihm meine Be-
denken in dieser Richtung wieder einmal in bescheidener Form vortrug,
„Bismarcks Widerwille gegen die Tiefenbacher in den Parlamenten und
die demokratischen Gevatter Schneider und Handschuhmacher in Presse
und Kammer ist beinah physisch. Es ist leider nichts dagegen zu machen.
Unser großer Mann erinnert mich immer an Coriolan. Erinnerst du dich
an Coriolan? Wir haben ihn zusammen gelesen. Mich dünkt, es war in
Neustrelitz, als du in die Sekunda gingst, oder war es schon in Frankfurt ?
Erinnerst du dich, wie Coriolan, Cajus Marcius Coriolanus, einen edlen
Römer nennt ihn Shakespeare, die Volkstribunen apostrophiert ?
Behold, these are the tribunes of the people,
The tongues 0’ the common mouth: I do despise them,
For they do prank them in authority,
Against all noble sufferance.
Und weiter:
What should the people do with these bald tribunes ?
Und wie Coriolan die „„Doppelherrschaft“ in Grund und Boden verdammt:
Where one part does disdain with cause the other
Insult without all reason; where gentry, title, wisdom,
Cannot conclude, but by the yea and no
Of general ignorance...
Ähnlich wie mein Vater hatte sich gelegentlich auch der kluge Bill
Bismarck mir gegenüber ausgesprochen. Im Psalm 62, Vers 10 heißt es:
„Große Leute fehlen auch.‘ Jedenfalls übertreiben große Leute hier und
da. Der von Bismarck so hart behandelte Dr. Eduard Herbst hat übrigens,
wie Hübner und Anton Schmerling, den Sturz des größten deutschen Staats-
manns noch erlebt. Herbst und Hübner starben 1892, Schmerling 1893.
Am Tage nach dem feierlichen Empfang in der Deutschen Botschaft
lernte ich dort bei einem kleinen Diner den Grafen Gyula Andrässy
kennen. Er war, nachdem Franz Deäk die Magyaren mit dem Hause
Habsburg versöhnt und den friedlichen Ausgleich zwischen Österreich und
Ungarn zustande gebracht hatte, der erste Ministerpräsident des selb-
ständigen Ungarn gewesen. 1871 trat er an die Stelle von Beust als Minister
des Äußern der Gesamtmonarchie. Es entsprach dem Kräfteverhältnis
innerhalb der Monarchie wie der europäischen Gesamtlage, daß damals ein
Magyar zum Minister des Äußern ernannt wurde. So war es der Ausdruck
der österreichischen wie der europäischen Verhältnisse gewesen, als in der
Graf Julius
Andrässy