Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

EINE FAHRT AUF DER DONAU 401 
dem scheint Altösterreich von der Überzeugung erfüllt gewesen zu sein, daß 
Kaiser Franz ein großer Monarch war. Auf seinem Monument in der nicht 
weit vom Volksgarten entfernten k. k. Hofburg geleiten die Religion und der 
Friede, die Gerechtigkeit und die Tapferkeit den im prächtigen Ornat des 
Ordens vom Goldenen Vlies seinen Untertanen entgegenreitenden Herrscher. 
Kunst und Wissenschaft, Handel und Gewerbe, Ackerbau und Viehzucht, 
Berg- und Hüttenbau knien in Hochrelief zu seinen Füßen. Ein Mailänder, 
Signor Marchese, ein Sohn derjenigen Stadt, die zuerst die Fahne des Auf- 
ruhrs gegen Altösterreich erheben sollte, formte das grandiose Monument. 
Als Inschrift stehen auf der Vorderseite die Worte, mit denen das Testament 
des „guten“ Kaisers Franz begann: „‚Populis meis amorem meum.“ Kaiser 
Franz, um dessen Erhaltung die österreichische Volkshymne in so rührenden 
Tönen bat, war gewiß davon überzeugt, daß er trotz glatter Ablehnung 
aller konstitutionellen Wünsche und liberalen Ideen im Grunde recht 
beliebt sei. 
Im Stadtpark hatte die Gräfin Marie Dönhoff Freude an den frischen 
Rasenplätzen, am Schwanenteich, vor allem an den Blumenbeeten auf 
beiden Ufern der anmutigen Wien, die innerhalb der Stadt in die Donau 
mündet. Sie blieb immer vor der Marmorstatue von Franz Schubert stehen, 
dessen Musik sie so sehr liebte. Ich freute mich ihrer Verehrung für den 
deutschen Meister Schubert, ihrer Liebe für Bäume und Blumen wie ihrer 
nie banalen und noch weniger gezierten, aber stets interessanten und geist- 
vollen Unterhaltung. Ich erinnere mich eines Ausflugs, der von Herren und 
Damen der Deutschen Botschaft mit einigen österreichischen Freunden und 
Freundinnen an einem schönen Julitage auf der Donau nach dem freund- 
lichen Nußdorf unternommen wurde. Die Gräfin Marie saß vorn im Schiff. 
Die Sonne beleuchtete ihr süßes, noch kindliches und doch schon nach- 
denkliches Gesicht. Sie trug einen Florentiner Strohhut, der mit Kirschen 
garniert war. Ich stand in einiger Entfernung von ihr und konnte kein Auge 
von ihr abwenden. So werden meine Augen noch in meiner letzten irdischen 
Stunde diese wunderbare Frau vor sich sehen, die einzige Frau, die ich 
wirklich geliebt habe. 
Ich frage mich heute, wie es möglich war, daß so viel Liebreiz mich nicht 
schon damals stärker anzog. Ich stand wohl noch mehr, als ich glaubte, im 
Bann der Fürstin Y., die mir fast täglich schrieb, leidenschaftlich, sehn- 
süchtig, immer melancholisch, oft zu Tode betrübt. Ich besuchte sie fast 
jede Woche von Wien aus auf ihrem Landschloß. Als ich im Herbst dort 
wieder einmal weilte, erhielt ich ein Telegramm meines Vaters aus Berlin, 
in dem er mir den Wunsch ausdrückte, mich zu sprechen. Nach meiner 
Ankunft in Berlin musterte er mein Aussehen und fand mich blaß, auch 
heiser. Der von ihm befragte Hausarzt konstatierte einen Lungenspitzen- 
256 Bülow IV 
Im Bann der 
Fürstin Y.
	        
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