402 KONFLIKT
katarrh, der noch nicht sehr bedenklich sei, aber Schonung und Pflege
erheische. Am nächsten Tage fand eine nochmalige Untersuchung statt, die
damit endigte, daß der Arzt meinen weiteren Aufenthalt in dem zugigen
und staubigen Wien für gefährlich erklärte und dringend zu einem baldigen
und mehrwöchigen Aufenthalt am Genfer See oder, noch besser, an der
Riviera riet.
Schmerzlicher als das Ergebnis dieser Konsultation war für mich, daß
mein Vater bei dieser Gelegenheit zum erstenmal rückhaltlos meine allzu
häufigen Besuche im Schlosse Y. zur Sprache brachte. Ich hätte nicht das
Recht, sagte er mir, ohne Schärfe, ohne ein verletzendes Wort für die
schöne Fürstin Y., aber mit tiefem Ernst, eine von mir verehrte Frau zu
kompromittieren oder gar ihr Leben zu zerstören. „Von einer Heirat kann
natürlich nicht die Rede sein. Du bist weit jünger als die Fürstin Y. Du
bist erst vor einem halben Jahr Legationssekretär geworden. Das bedeutet
noch keine Stellung, nicht einmal eine sichere Anwartschaft auf eine solche
vor zehn bis fünfzehn Jahren. Du hast kein eigenes Vermögen. Du hast einer
an Reichtum und Luxus gewöhnten, sehr verwöhnten Dame, die ein präch-
tiges Schloß auf dem Lande, ein elegantes Stadthaus, die Diamanten und
Perlen, die alles hat, was Menschenbegehr, außer deiner Verliebtheit gar
nichts zu bieten. Von deiner Christenpflicht will ich gar nicht reden. Aber
deine Pflicht als Ehrenmann ist, einer Frau, die du aus glänzenden Ver-
hältnissen herausreißen würdest, ohne ihr eine gesicherte Zukunft bieten
zu können, reinen Wein einzuschenken. Wahr sein — vor allem wahr gegen
sich selbst —, darauf kommt alles im Leben an.“ Mein Vater verlangte von
mir mein Ehrenwort, daß ich der Fürstin Y., wenn ich den Genfer See oder
die Riviera aufsuchte, nicht erlauben würde, mich dort zu besuchen. Noch
weniger dürfe ich sie wieder aufsuchen. „Eure Wege müssen sich trennen,
das verlangt von dir nicht allein dein Vater, das verlangt die Vernunft,
das fordern deine Ehre und deine Pflicht.“
Der Brief, den ich noch in derselben Nacht an die Fürstin schrieb, wurde
mir schwer. Ich sagte ihr mit einiger Übertreibung, aber vollkommen auf-
richtig, daß sich selten oder nie ein Mensch in einem schwereren Konflikt
zwischen Ehre und Liebe befunden habe als ich. Ich däckte mit jenem
französischen Marquis des achtzehnten Jahrhunderts: „Ma vie a madame.“
Aber wie dieser müsse ich hinzufügen: „Mon honneur a moi.‘ Wenn ich
es bis zu einer Scheidung zwischen ihr und ihrem Gatten kommen ließe,
würde ich nicht nur unvernünftig handeln, sondern unehrenhaft, da ich ihr
keine gesicherte Zukunft bieten könne. Wäre ich dazu in der Lage, so würde
ich keinen Augenblick zögern, ihr Leben mit dem meinigen zu verbinden.
Aber ohne eine solche Möglichkeit ihr Leben zu zerstören, könne ich weder
mit meinen Ehrbegriffen vereinigen, noch über das Herz bringen. Als