Genua
Korfu
408 DIE ADRIA
Mann noch einmal an das Goethesche Wort, das er dem Knaben eingeschärft
hatte, und empfahl mir, mich am Fuße der Akropolis am diamantenen
Schilde der Griechen zu prüfen, um die Lücken meiner Bildung und wohl
auch manche andere Unvollkommenheiten nicht nur meiner Bildung
zu erkennen.
Ende Dezember 1876 reiste ich von San Remo ab, in der Tasche die
Odyssee, im Hinblick auf die mir bevorstehende Seefahrt, die mich zu
homerischen Gestaden führen sollte. Die Eltern meiner kleinen Freundin,
die ich das Dame-Spiel lehrte, der ich Märchen erzählte, baten mich,
das Kind nichts von meiner bevorstehenden Abreise merken zu lassen, da
sie das gar zu sehr betrüben würde. Sie würden ihr nach meinem Fortgang
sagen, daß der große Bismarck mir befohlen habe, sofort nach der schönen
Stadt Athen abzureisen, um dort auf die unruhigen und bösen Griechen
aufzupassen, damit sie keinen Unfug trieben. Ich bin nicht abgeneigt, zu
glauben, daß die Zuneigung dieses armen, kranken und verwachsenen
Mädchens zu mir inniger und jedenfalls reiner war als die mancher jener
Weltdamen, deren ewig Weh und Ach so tausendfach aus einem Punkte
zu kurieren ist.
Am Tage vor Weihnachten verließich den schönsten Fleck der Ligurischen
Küste. Ich fuhr über Porto Maurizio, Alassio und Savona nach Genua,
der Stadt, in der mir zwei Jahre früher die Pracht italienischer Baukunst
und der Zauber italienischer Natur zuerst entgegengetreten waren. Genova
la Superba, die Stadt, wo Cristoforo Colombo und Giuseppe Mazzini das
Licht der Welt erblickten, wo Camillo Cavour als junger Artillerieoffizier in
Garnison stand, die Stadt, wo selbst Christian Friedrich Nicolai, dieser
echte Repräsentant Berliner Spießbürgerlichkeit und Suffisance, sich zu
dem Geständnis bewogen fühlte, daß Genua „allerdings“ schöner sei, als
es die kühnste Phantasie ersinnen könne. Von da ging es über Bologna und
Ancona nach Brindisi längs des mir noch unbekannten Adriatischen
Meeres, der im Laufe der Jahrhunderte von vielen Dichtern gefeierten
Adria, die in unseren Tagen Gabriele d’Annunzio im Groll gegen Österreich
das „amare Adriatico“ nannte und wo sich jetzt nach dem Zerfall der
habsburgischen Monarchie Südslawen und Italiener mißtrauisch in die
Augen sehen.
Ein schwankendes, rollendes und übelriechendes griechisches Schiff
brachte mich in der Nacht von Brindisi nach Korfu. Aber üble Gerüche
und mit ihnen die Seekrankheit schwanden, als am Morgen Korfu am
Horizont auftauchte. Trübe lag’s wie ein Schild in der dunkelwogenden
Meerflut, heute wie in den Tagen des Odysseus. Ich bewunderte wieder die
unerreichbare Plastik homerischer Naturschilderungen. Stolz und schroff
überragte der Pantokrator Insel, Berge und Meer. Am Landungssteg von