Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

KOKINOS 409 
Korfu erwartete mich der Wahlkonsul Fels, in dessen Haus ich einen 
gemütlichen deutschen Weihnachtsabend verlebte. Von keinem Teil des 
deutschen Volks war die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs, eines 
starken Deutschen Reichs, verständnisvoller und freudiger begrüßt worden 
als von den Auslandsdeutschen. Die kleinliche Kritik, das doktrinäre 
Besserwissen und die ganze Narrheit, mit der sich in der Heimat manche 
Deutsche die Freude am herrlichen Bismarckschen Reich vergällten, 
wurde von den Auslandsdeutschen, die von fernen Horizonten aus nur 
das Gradlinige und Große der Bismarckschen Schöpfung sahen, kaum 
begriffen. 
Neben dem Konsul stand ein griechischer Hauptmann. Der Brave hieß 
Kokinos. Das Mißtrauen, das mir dieser Name wegen seiner fatalen 
Ähnlichkeit mit Coquin zunächst einflößte, erwies sich bald als unbegründet. 
Kokinos war mir während drei Tagen ein unermüdlicher und freundlicher 
Führer durch Korfu. So jugendfrisch wie in den Tagen der Nausikaa lag 
Korfu nicht mehr vor den Augen des Besuchers. Aber noch hatte keine 
melancholische Kaiserin Elisabeth dort das Achilleion erbaut und in diesem 
Schloß ihrem unglücklichen Sohn und ihrem Lieblingsdichter Heinrich 
Heine Denkmäler errichtet. Noch hatte Kaiser Wilhelm II. die Insel der 
Phäaken nicht mit seiner Unruhe, mit seiner immer zu zahlreichen Suite 
und seinen nicht immer glücklichen architektonischen Einfällen be- 
sucht. Der brave Kokinos führte mich durch Olivenhaine, wie ich sie so 
üppig noch nicht gesehen hatte, über grüne Wiesen, an deren Rainen der 
Asphodelos blühte und duftete, nach der Landzunge Canone. Er wies mir 
dort die Stelle, wo Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Nausikaa geruht 
hatte, sich des Königs von Ithaka anzunehmen, der splitternackt, in Er- 
mangelung aller Kleidungsstücke nur einen laubichten Zweig vor sich 
haltend, ihr entgegentreten und eine wohlgesetzte Anrede an sie halten 
durfte, die gnädig aufgenommen wurde. Es waren glückliche Zeiten. Der 
Hauptmann Kokinos zeigte mir mit der frommen Gläubigkeit, mit der in 
Italien Reliquien und auf der Wartburg der von Dr. Martinus Luther her- 
rührende Tintenfleck gezeigt werden, das Phäakenschiff, das Poseidon zur 
Strafe für die Rettung des bei dem Meergott schlecht angeschriebenen 
Odysseus im Angesicht der sehr erschrockenen Phäaken versteinert hatte. 
Dieses Phäakenschiff ist im Laufe der Jahrhunderte ein reizendes, mit den 
herrlichsten Zypressen bewachsenes Inselchen geworden, das Pontikonisi, 
Mäuseinsel, heißt. 
Konsul Fels und Kokinos brachten mich nach mehrtägigem Aufenthalt 
auf Korfu wieder auf ein Schiff, diesmal auf einen Triester Lloyddampfer, 
und weiter ging die Fahrt. Paxos kam in Sicht. Ich gedachte der Sage vom 
Tode des Pan. Es war in den Tagen des Tiberius, als ein griechisches
	        
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