Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

AKTEN UND PENTELIKON 411 
In Wirklichkeit ist diese Ekloge ein artiges Carmen, das Virgil, wie sein 
Kollege und Freund Horaz im Verkehr mit den Großen dieser Erde ein 
Schmeichelkätzchen, an seinen hohen Gönner, den Konsul Pollio, richtete, 
als diesem ein Erbe geboren wurde. Wie sehr würde sich der brave Konsul 
Pollio gewundert haben, wenn ihm die Deutungen bekanntgeworden wären, 
zu denen das von ihm wahrscheinlich mit einigen gnädigen Dankesworten 
entgegengenommene und mit ein paar Goldmünzen entlohnte Geburtstags- 
gedicht auf sein in der Wiege schlummerndes Kind Jahrhunderte später 
Anlaß geben sollte. Auch die ausschweifendste Phantasie ist nicht imstande, 
die Folgen vorauszusehen, auch nur zu ahnen, die sich an dieses oder jenes 
bedeutende oder auch ganz unbedeutende Ereignis der Gegenwart im Laufe 
der Zeit knüpfen können. | 
Während ich mit einigen deutschen Philologen und Archäologen, die wie 
ich nach Athen fuhren, solche Reminiszenzen und Betrachtungen aus- 
tauschte, waren wir an Zante, der Blume der Levante, vorbeigekommen, 
hatten den Peloponnes umschifft und den Piräus erreicht. Ich erblickte den 
Pentelikon, den Hymettos, den Lykabettos, die Akropolis, den Parthenon. 
Was meinen Geist seit meiner frühesten Jugend oft beschäftigt hatte, was 
sich meiner Phantasie durch Betrachtung von Zeichnungen und Stichen 
eingeprägt hatte, sah ich nun leibhaftig vor mir. Aber ich war zu sehr ge- 
wissenhafter deutscher Beamter, um mich dem Zauber auch ergreifender 
Erinnerungen und gewaltiger Eindrücke hemmungslos hingeben zu können. 
Mein erster Gang war zur Kaiserlichen Gesandtschaft, um mir die Akten, 
die Kasse und das gesamte Inventar übergeben zu lassen, dies dem Aus- 
wärtigen Amt telegraphisch zu melden und mich dann an der Hand der 
Berichte meines Vorgängers über die Situation zu orientieren. Aus den 
Berichten ergab sich im Zusammenhang mit dem sonst vorliegenden 
Material an Mitteilungen des Auswärtigen Amtes sowie an Äußerungen der 
großen europäischen Presse ein mich einigermaßen orientierendes Bild. 
In Athen
	        
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