König
Georgios
und
Königin Olga
418 IN BESONDERER AUDIENZ
als daß er solche ‚‚pensees de derriere la t&te‘ auch nur indirekt nach außen
hätte hervortreten lassen. In den Äußerungen Bismarcks waren für mich
die großen Gesichtspunkte vorgezeichnet, unter denen ich die Haltung der
griechischen Regierung zur Orientkrise zu beurteilen und die Bedeutung
der offenbar reichlich verwirrten innern Politik Griechenlands zu bemessen
hatte.
Wenige Tage nach meiner Ankunft in Athen wurde ich von König
Georgios in besonderer Audienz empfangen. Er begrüßte mich als alten
Bekannten, den er schon in unser beider ersten Jugend in Rumpenheim
und Frankfurt begegnet war. Der König hat mich während der ganzen Zeit
meiner Tätigkeit in Athen mit immer gleicher Freundlichkeit und mit
vollem Vertrauen behandelt. Er hatte von seinem Vater, dem König
Christian IX. von Dänemark, die unerschütterliche Ruhe geerbt, von seiner
Mutter, Luise von Hessen, einen feinen Verstand. Wie sein Vater war er ein
vollkommener Gentleman. Damit imponierte er den Hellenen, von denen
sich gerade das im allgemeinen nicht sagen ließ. Seine Gemahlin, die Köni-
gin Olga, war eine Tochter des Großfürsten Konstantin von Rußland. Sie
war durch und durch Russin, streng orthodox, sehr vortrefllich, etwas naiv.
Im Laufe einer längeren Unterhaltung frug sie mich einmal, ob es wirklich
wahr sei, daß ihr Urgroßvater, der Kaiser Paul, keines natürlichen Todes
gestorben sei. Sie habe das in einem französischen Buche gelesen, könne
es aber nicht glauben, denn ihr Lehrer der russischen Geschichte habe ihr
gesagt, Kaiser Paul sei, umgeben von der Liebe seines Volkes und beson-
ders seiner Verwandten, als frommer Christ und ausgezeichneter Souverän
in seinem Bett gestorben. Ich mußte Ihre Majestät darüber aufklären, daß
Kaiser Paul von seinen General- und Flügeladjutanten stranguliert worden
sei und daß seine Gemahlin und sein Herr Sohn um das Komplott gewußt
hätten. Die Ehe zwischen dem König Georg und der Königin Olga war
sehr glücklich, obwohl der König sich, ähnlich wie sein Schwager,
König Eduard VII. von England, gelegentlich kleine Seitensprünge er-
laubte. Als Georgs Sohn, der in dieser Beziehung dem Beispiel seines Herrn
Vaters folgte, auch nach seiner Verheiratung mit Prinzessin Sophie von
Preußen, der dritten Tochter des Kaisers Friedrich, ab und zu vom schmalen
Pfad der Tugend abwich, erschien die junge Prinzessin Sophie bei ihrem
Schwiegervater und frug ihn, wie sie sich in solcher Lage verhalten solle. Der
König antwortete mit großem Ernst: „Das mußt du deine liebe Schwieger-
mutter fragen, die kann dir in dieser Beziehung die besten Ratschläge
geben.“
Ich habe die Königin Olga viele, viele Jahre nachdem ich in Athen als
Geschäftsträger gewirkt hatte, wiedergesehen. Sie verbrachte den Winter
von 1924/25 in Rom, im Hotel Eden, das schräg gegenüber der Villa Malta