DER RETSINATO 425
Also sprach und winkte mit schwärzlichen Brauen Kronion,
Und die ambrosischen Locken des Königs wallten ihm vorwärts
Von dem unsterblichen Haupt; es erbebten die Höh’n des Olympos.
In Olympia trennte ich mich von meinen beiden gelehrten Begleitern,
um zu Pferde Arkadien, Messenien und Lakonien aufzusuchen. So wenig
Rit
mir in Athen die Politiker gefallen hatten, so sympathisch war mir auf durch den
meinem Ritt durch den Peloponnes das Volk. Ich habe selten abgehärtetere
und ausdauerndere Menschen gesehen als die Griechen, die neben meinem
Pferde herliefen. Ihre ganze Nahrung bestand aus Zwiebeln, ein paar
trockenen Feigen und einer Handvoll Reis. Wenn wir nach stundenlangem
Marsch auf steinigen, schlechten Wegen mittags ausruhten, so störten sie
weder die glühenden Brand versendende Sonne Homers noch die Wanzen,
die zu Dutzenden auf ihrer zottigen Brust herumkrochen. Der Retsinato
schien ihnen köstlich zu munden. Hier sei mir eine Parenthese gestattet.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Helden wie Achilleus und Diomedes,
daß ein „elegant“ wie Alkibiades, daß selbst Odysseus, der vieles ertrug, sich
am Retsinato, diesem schauerlichen Harzwein, gelabt haben sollen. Die
Behauptung, daß der Nektar, der die Lippen der Unsterblichen netzte,
dieser wie Terpentin schmeckende Retsinato gewesen sein soll, ist eine
Blasphemie. In Arkadien freute ich mich über die an die deutsche Heimat
erinnernden Eichenwälder, in Messenien an den Oliven-, Feigen- und
Orangenhainen, den fruchtbaren Getreidefluren.
Bewundernd stand ich vor den Ruinen des Apollo-Tempels von Bassä.
Aber Sparta übertraf alle meine bisherigen Eindrücke. Chateaubriand
erzählt, daß er, in Sparta angelangt, mit lauter Stimme dreimal gerufen
habe: „Leonidas!“ Weniger theatralisch angelegt als der Verfasser des
„Rene“, begnügte ich mich, auf der Brücke, die über den Eurotas führt, mit
dem Blick auf die Kette des Taygetos im siebenten Buch (Polymnia) des
Herodotos die Beschreibung der Schlacht an den Thermopylen nachzulesen.
Ich gedachte der Inschrift auf dem Grabe der gefallenen Spartaner:
Fremdling, melde dem Volk Lakedämons,
daß wir allhier ruhn,
Weil in Gehorsam wir seine Gebote befolgt.
Ich kenne keine schönere Verherrlichung staatstreuer Gesinnung und
militärischer Bravour. Ich habe nach Sparta noch Argos, Nauplia und
Korinth besucht. Aber Sparta blieb das stärkste Erlebnis meiner pelo-
ponnesischen Reise.
Im Herbst 1877 verbrachte ich acht angenehme Tage bei dem grie-
chischen Königspaar auf seinem im Gebirge gelegenen schönen Schloß
Peloponnes
Sparta