Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Toast des 
Kronprinzen 
Bismarck 
und der 
Kongreß 
436 PRESTIGE-POLITIK 
große Winterhaltersche Bild des Kaisers und Königs aufstellen lassen. Die 
Kronprinzessin, die ihre englische Heimat nie verleugnete noch vergaß, 
hatte vor dem kronprinzlichen Paar den berühmten großen silbernen 
Tafelaufsatz placieren lassen, der von der ersten Londoner Industrie- 
ausstellung stammte. Sie machte Lord Beaconsfield während der Tafel auf 
dieses Prachtstück aufmerksam. Der Earl lächelte geschmeichelt. Die hohe 
Frau hatte aus ihrer englischen Heimat neben manchem anderen Guten 
auch Verständnis und Liebe für Blumen- und Obstkultur mitgebracht. Man 
konnte nichts Anmutigeres sehen als die mächtigen Körbe mit dunkelroten 
und hellen Rosen, als die Pyramiden von Kornblumen und Geranien, als 
die silbernen Schalen mit den schönsten Früchten, wie sie auf der Tafel 
prangten, die diesmal mit Rücksicht auf die Aufstellung des Winter- 
halterschen Gemäldes an der Fensterseite des Saales hergerichtet war. 
Nicht lange nach dem Beginn des Diners erhob sich der Kronprinz und 
brachte in französischer Sprache den nachstehenden Trinkspruch aus: „Der 
in Berlin versammelte Kongreß hat seine Arbeiten damit eingeleitet, daß 
er Wünschen für die Wiederherstellung Seiner Majestät des Kaisers, meines 
erhabenen Vaters, Ausdruck gab. Ich danke den Vertretern der Mächte für 
dieses Zeichen von Sympathie. Im Namen meines erhabenen Vaters äußere 
ich den Wunsch, Ihre Bemühungen durch ein Einverständnis gekrönt zu 
sehen, welches das beste Unterpfand für den allgemeinen Frieden sein wird. 
Im Namen Seiner Majestät trinke ich auf das Wohl der Souveräne und 
Regierungen, deren Vertreter sich in Berlin versammelt haben.“ Fürst 
Bismarck hatte diesen Toast entworfen und ausdrücklich gebeten, den 
Kongreß in französischer Sprache zu begrüßen. 
Nach Aufhebung der Tafel ging ich mit meinem Vater über die Linden 
und die Wilhelmstraße nach der damaligen Dienstwohnung des Staats- 
sekretärs des Auswärtigen Amtes, dem späteren Reichsschatzamt, wo ich 
bei meinen Eltern abgestiegen war. „Bismarck“, sagte mir mein Vater, „ist 
ungern an den Kongreß herangegangen. Je älter er wird, um so lästiger 
werden ihm repräsentative Pflichten. Dazu kommt, daß er mit Recht das 
Odium scheut, das unter Umständen mit dem Tagen des Kongresses gerade 
in Berlin verbunden sein kann. Es ist nicht ausgeschlossen, daß entweder 
die Russen oder die Österreicher oder die Engländer den Kongreß in 
unzufriedener Stimmung verlassen und Bismarck, der den Kongreß nach 
Berlin einberufen hat und ihm vorsitzt, für ihre Enttäuschung verant- 
wortlich machen. Bismarck sieht das auch ein. Aber er ist der Meinung, daß 
es notwendig ist, nachdem unser Prestige durch die beiden abscheulichen 
Attentate gegen den Kaiser einen Stoß erhielt, etwas für die Wieder- 
herstellung unseres Ansehens in der Welt zu tun. Gegen seine Gewohnheit 
treibt er in diesem Falle Prestige-Politik. Alles in allem wäre es wohl
	        
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