Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

BISMARCK UND GORTSCHAKOW 437 
besser, wenn der Kongreß in der Schweiz stattgefunden hätte, in Luzern 
oder in Interlaken, meinetwegen auch in der Lagunenstadt Venedig. In 
Deutschland kann natürlich nur ein Deutscher dem Kongreß präsidieren. 
Aber da es, wie Bismarck selbst meint, für uns vor allem darauf ankommt, 
aus dem ganzen orientalischen Wirrwarr, also auch aus seinem vorläufigen 
Abschluß, dem Kongreß, mit geschonten Beziehungen zu Österreich, zu 
England, vor allem zu Rußland herauszukommen, hätten wir in einer mit 
unserem Selbstgefühl und unserer Würde verträglichen Form das Präsidium 
des Kongresses Rußland zuschieben sollen. Das hätte ja in der Form ge- 
schehen können, daß ein in Berlin zusammentretender Kongreß unseren 
Reichskanzler zum Präsidenten wählte und dieser dann vorschlug, dem 
Ältesten, Erfahrensten, Weisesten usw. der Bevollmächtigten, also Gor- 
tschakow, die effektive Leitung der Verhandlungen zu übertragen. Dann 
wären die Eitelkeit von Gortschakow, das Selbstgefühl des Zaren und das 
russische Nationalempfinden befriedigt gewesen. Vor allem trügen die 
Russen in diesem Falle die volle Verantwortung für Gang und Ausgang des 
Kongresses. Nun, hoffen wir, daß das Genie unseres großen Bismarck auch 
jetzt wieder alles zum Besten lenkt. Aber den Amour-propre von Gor- 
tschakow sollten wir mehr schonen. Er hat immerhin als Kanzler eines 
großen Reichs während mehr als zwei Jahrzehnten eine bedeutende Rolle 
gespielt. Was er jetzt vor allem wünscht und wozu wir ihm bei gutem Willeng 
helfen können, ist ein guter Abgang. Zu einem seiner Mitarbeiter, dem 
Staatsrat Hamburger, hat er, wie dieser mir gelegentlich erzählte, vor nicht 
allzu langer Zeit gesagt: ‚Je ne veux pas m’en aller comme une lampe qui 
file, mais comme un astre qui se couche.‘‘“ So mein Vater zu mir am 
13. Juni 1878. 
In der Nacht vom 13. zum 14. Juni erwachte ich mit heftigen Hals- 
schmerzen. Ich glaubte zu ersticken und rang nach Luft. Unfähig zu Bülow 
sprechen, geschweige denn zu rufen, suchte ich nach einem Stock und wird operiert 
trommelte, so stark ich konnte, auf den Fußboden, da ich wußte, daß mein 
Bruder Alfred gerade unter mir wohnte. Er kam denn auch bald, sah gleich, 
daß es übel um mich stand, und schickte nach unserem Hausarzt, dem 
Geheimrat Leyden. Der machte ein bedenkliches Gesicht und erklärte es 
für notwendig, sogleich Langenbeck, den berühmten Chirurgen, zu rufen. 
Inzwischen wurde ein Tisch an mein Bett gestellt und darauf eine Anzahl 
Messer, Scheren, Zangen, Schwämme, Charpie und andere füreine Operation 
notwendige Utensilien ausgebreitet, die so rasch wie möglich beschafft 
worden waren. Mein Bruder, den ich durch Zeichen bat, mich über die 
Situation näher zu unterrichten, sagte mir: Leyden glaube, es werde, um 
mich vor Ersticken zu retten, der Luftröhrenschnitt notwendig sein. 
Ich bat um Bleistift und Papier, wies Alfred schriftlich an, mir meine
	        
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