Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Die 
Rothschilds 
28 EIN PATRIARCH 
Zusammenhang zu ahnen. Er gab mir die Hand mit den Worten: „Du bist 
ein braver Junge.“ 
Die Juden bildeten in Frankfurt ein bedeutsames und stark ausge- 
prägtes gewerbliches und gesellschaftliches Element. Noch existierte ziem- 
lich unverändert die Judengasse, wo allein, bis zum Ende des achtzehnten 
Jahrhunderts, die Juden hatten wohnen dürfen. Zur Nachtzeit und am 
Sonntag wurde die Gasse durch Tore abgeschlossen. Ich bin oft durch die 
Judengasse gegangen. In manchem halbverfallenen Haus wohnten an 
hundert Menschen. Die Giebel der schwarzen Häuser neigten sich melan- 
cholisch gegeneinander. Ich kann mich gut des alten Baron Anselm Mayer 
Rothschild entsinnen. Auch mit ihm ging mein Vater gelegentlich spazieren. 
Der freundliche alte Mann erzählte hübsch von seiner Kindheit, wie er mit 
seinen Eltern nachts in der Judengasse eingesperrt wurde. Wenn er unmittel- 
bar vor Toresschluß noch Einlaß begehrte, sagte die Schildwache, ihn am Ohr- 
läppchen packend, auf gut frankfurterisch zu ihm: „Judebübche, eumal will 
ich dich noch hereinlasse.‘‘ Anselm Mayer Rothschild hatte seinen gut- 
mütigen Humor auch im tollen Jahr 1848 betätigt. Als eine aufgeregte 
Volksmasse vor sein Haus zog, erschien er auf dem Balkon und richtete fol- 
gende kleine Ansprache an die Anwesenden: „Ihr wollt, lieben Freunde, 
daß alle Reichtümer verteilt werden sollen. Es gibt ungefähr vierzig Millio- 
nen Deutsche. Ich besitze ungefähr ebensoviele Gulden. Wir wollen die Ver- 
teilung damit beginnen, daß ich jedem von euch als seinen Anteil einen 
Gulden schenke.“ Die Leute zogen lachend ab. 
Die Familie Rothschild nahm unter den Frankfurter Israeliten eine 
Sonderstellung ein, worauf sie stolz war. Als im Frankfurter Klub über die 
Aufnahme des Barons Emil Erlanger diskutiert wurde, sprach sich mein 
Vater für die Admission dieses gescheiten Mannes aus, der zu Wohlstand 
und Stellung in Paris gelangen sollte, wo ich ihm wieder begegnet bin. Der 
Baron Mayer Carl von Rothschild, später Mitglied des Preußischen Herren- 
hauses, der Sohn des alten Anselm Mayer, protestierte lebhaft gegen die 
Zulassung von Erlanger und sagte schließlich zu meinem Vater: „Je ne 
vous comprends pas. En somme, Erlanger n’est qu’un miserable juif.‘“ Er 
unterschied zwischen der Grande Juiverie, zu der er vor allem das Haus 
Rothschild rechnete, und der Petite Juiverie, in die er die übrigen Israeliten 
verwies. Manche von diesen haben es im Ausland zu Reichtum gebracht, 
namentlich in Brüssel und in Paris. 
Wir wohnten in Frankfurt im Stadthaus des Baron Willy Rothschild, 
dessen Witwe Mathilde erst nach dem Weltkrieg, über neunzig Jahre alt, 
gestorben ist. Sie war mit der Kaiserin Friedrich und mit meiner Schwieger- 
mutter Donna Laura Minghetti befreundet, die sie beide öfters in ihrer 
schönen Villa bei Frankfurt, der Grüneburg, besucht haben. Kaiser
	        
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