EIN TÜRKE AUS MAGDEBURG 449
Beamter. Der dritte französische Delegierte war der Botschafter Frank-
reichs in Berlin, Graf St-Vallier, ein kluger und geschickter Diplomat aus
vornehmer Familie, aber kränklich, worunter sein äußeres Auftreten litt.
Einem legitimistischen Hause entsprossen, hatte er sich unter dem Second
Empire diesem angeschlossen. Er war unter Napoleon III. ein Intimer der
Tuilerien gewesen. Nach Sedan war er zur Republik abgeschwenkt. Solche
Gesinnungsänderungen haben wir nach dem Sturz der Monarchie auch in
Deutschland erlebt und nicht nur bei Grafen, sondern selbst bei Professoren
und Bürgermeistern. In Frankreich war man für solche Charakterlosigkeit
empfindlicher als bei uns. Daß dementsprechend in seiner Heimat seine
soziale Stellung nicht gut war, gab St-Vallier etwas Gedrücktes. Es sollte
die Zeit kommen, wo die Franzosen im Ausland nicht mehr so bescheiden
auftraten wie 1878 in Berlin.
Für die türkischen Delegierten empfand ich unwillkürlich Mitleid und
infolgedessen eine gewisse Sympathie. Die Türkei war nur leidendes Objekt
der Verhandlungen. Stundenlang wurde darüber hin und her gesprochen,
welches ihrer Glieder noch amputiert werden könne. Sie war auch nicht be-
sonders repräsentiert. Da kein waschechter Türke Lust gehabt hätte, der
Abschlachtung des Osmanischen Reiches durch die Giauren beizuwohnen,
hatte die Hohe Pforte als ihren ersten Vertreter einen Türken aus Magdeburg
entsandt. Er hieß ursprünglich Karl Detroit, war als kleiner Junge in der
Hauptstadt der Provinz Sachsen seinen Eltern fortgelaufen, hatte sich als
Schiffsjunge in Hamburg verdingt, war in Konstantinopel wieder durch-
gebrannt und Muselman geworden. Er wurde im Hause von Ali Pascha,
dem späteren Großwesir, erzogen, dessen besondere Protektion ihm manche
üble Nachrede eintrug. Mehemed-Ali, so nannte sich der kleine Magde-
burger in seiner neuen Heimat, machte eine glänzende Militärkarriere.
Während des Russisch-Türkischen Krieges hatte er hohe Kommandos
geführt und galt für einen tüchtigen Soldaten. Aber Bismarck konnte ihm
seinen Abfall vom Christentum nicht verzeihen und war nicht dazu zu
bewegen, ihn mit Höflichkeit zu behandeln. Auch in unseren Offizierskreisen
ging man ihm aus dem Wege. Er hat bald nach der Beendigung des Kon-
gresses einen ehrlichen Soldatentod gefunden. Nach Albanien gesandt, wo
im November 1878 ein Aufstand ausgebrochen war, wurde er von den
Insurgenten niedergemacht. Er war das erste Mitglied des Kongresses, das
von dieser Erde abberufen wurde. Der zweite türkische Vertreter,
Alexander Karatheodory, war ein Phanariot, das heißt ein Sohn jenes
Leuchtturmviertels von Konstantinopel, wo sich nach dem Einmarsch der
Türken die Reste der alten griechischen Geburts- und Amtsaristokratie
ansiedelten und aus dem so viele Dragomane der Pforte und so manche
Hospodare der Moldau und Wallachei hervorgingen. Er machte einen
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Die
Delegierten
der Pforte