Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Der Berliner 
Vertrag 
Schlußdiner 
450 DIE UNTERZEICHNUNG 
klugen und ruhigen Eindruck. Er mag sich innerlich gesagt haben, daß die 
Griechen des Orients, die manchen Sturm überdauert hatten, seitdem der 
Sultan Mohammed II. Byzanz eroberte und sein Schlachtroß die Stufen 
des Hochaltars in der Sophienkirche emportrieb, auch den Berliner Kongreß 
überstehen würden. Nur der dritte türkische Delegierte, der Botschafter 
der Hohen Pforte in Berlin, Sadullah Bey, war ein Nationaltürke. Es 
ist erschütternd, daran zu denken, daß vierzig Jahre nach dem Berliner 
Kongreß das Deutsche Reich und das deutsche Volk in Versailles noch viel 
grausamere Mißhandlungen erfahren sollten als 1878 die Türken in Berlin, 
eine wahrhaft ruchlose Behandlung. Denn als unserem armen Deutschland 
der Versailler Friede aufgezwungen wurde und der Sozialdemokrat 
Hermann Müller mit dem Zentrumsabgeordneten Bell diesen Schandfrieden 
unterzeichnete, war, wie sich jeder Deutsche, bis für uns die Stunde der 
Gerechtigkeit schlägt, immer wieder sagen muß, von einer Diskussion über 
die uns aufgedrungenen fürchterlichen Friedensbedingungen überhaupt 
nicht die Rede gewesen. 
Am 13. Juli, genau einen Monat nach dem Beginn des Kongresses, fand 
die Unterzeichnung des Friedensvertrages, des „Iraite de Berlin‘, im 
Großen Saal des Reichskanzlerpalais statt, der seitdem der Kongreßsaal 
heißt. Anton v.Wernerhat diesen Moment in seinem bekannten Bild fixiert, 
das im Berliner Rathaus hängt. Nach dem Tode meines Vaters übersandte 
in Erinnerung an ihn der Berliner Magistrat mit einem freundlichen 
Schreiben meiner Mutter eine schöne Photographie des Wernerschen 
Bildes. Es stellt den Moment der Unterzeichnung und damit ein großes 
historisches Ereignis mit einer Anschaulichkeit dar, die mit meinen 
persönlichen Erinnerungen übereinstimmt. Alle überragend, wie hoch über 
Lärchen die Tanne sich hebt, steht Fürst Bismarck im Mittelpunkt des 
Bildes. Mit demonstrativer Herzlichkeit drückt er dem Grafen Peter 
Schuwalow die Hand, der in der prächtigen Uniform eines russischen 
Generaladjutanten auf ihn zugeht. Graf Andrässy steht hinter dem Fürsten 
Bismarck in fescher Husarenuniform, aber wie einer, der sich unter den 
Schutz eines Stärkeren stellt. Fürst Gortschakow sitzt in einem Lehnstuhl 
in einer ungezwungeneren Haltung, als er sie damals, nach meiner Er- 
innerung, zur Schau trug. Er sieht auch lange nicht so giftig aus, wie er, 
wie ich mich genau erinnere, am 13. Juli 1878 aussah. Lord Beaconsfield, 
etwas krumm, scheint ihm Trost zuzusprechen. Auch mein Vater, Fürst 
Chlodwig Hohenlohe und Waddington sind sitzend dargestellt. Die armen 
Türken stehen wie Schafe im Gewitter zusammen am Ende des langen 
Tisches, auf dem der Vertrag unterzeichnet wurde. 
Am Abend des 13. Juli fand im Weißen Saal des Königlichen Schlosses 
das Abschiedsdiner für den Kongreß statt, zu dem über hundertfünfzig
	        
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