Radowitz und
Holstein
452 EINE SZENE
geschildert. „Ich hatte‘, erzählte mir Ungern-Sternberg, „an diesem Tage
Dienst. Peter Schuwalow trat in glänzender Stimmung, mit erhobenem
Haupt, ein freudiges Lächeln auf den Lippen, in das Adjutantenzimmer und
bat, ihn bei Seiner Majestät anzumelden. ‚J’ai remporte un beau succe&s‘,
sagte er zu mir. „Le Trait€ de Berlin est conforme aux vrais intEröts de la
Russie. J’ai sauve la paix qui est assur&e pour longtemps sur la base
d’excellents rapports avec l’Allemagne, l’Angleterre, la France, l’Autriche,
avec toutes les puissances. Notre auguste Maitre sera content de moi.‘ So
sprach Graf Peter Schuwalow. Er wurde zu Seiner Majestät hereingerufen.
Zehn Minuten später war seine Audienz beendigt. Er erschien wieder im
Adjutantenzimmer. Welche Veränderung war mit ihm vorgegangen! Wenn
die Szene nicht so tragisch gewesen wäre und, wie ich überzeugt bin, ein
Unglück für mein russisches Vaterland und für die Welt, so würde ich den
Grafen Peter Schuwalow mit einem begossenen Pudel vergleichen. Er war
ganz außer Fassung, totenbleich. Mit bebender Stimme und allen Zeichen
tiefster Entrüstung flüsterte er mir zu: ‚J’ai et& calomnie d’une maniere
infäme aupres de Sa Majeste. C’est le vieux Gortschakow, ce vieillard
pourri et mechant, qui m’a jou@ ce sale tour.‘ Ich werde nie den Ausdruck
ehrlichen Zorns und tiefer Empörung vergessen, der aus den Worten, dem
Mienenspiel des Grafen Peter Schuwalow sprach. Das Ganze war eine Szene,
die, auf der Bühne und von guten Schauspielern aufgeführt, eines Bomben-
erfolges sicher gewesen wäre.‘ So die Schilderung, die mir Baron Ungern-
Sternberg von dieser Szene gab. Ein Jahr später wurde Graf Schuwalow
von seinem Posten in London abberufen und endgültig in den Ruhestand
versetzt. Er ist erst 1889 gestorben. Ich habe ihn während meines zweiten
Aufenthaltes in Petersburg noch oft gesehen und viel mit ihm gesprochen.
Er sah auf ein reiches Leben zurück, das ihm Gelegenheit geboten hatte,
über Fürsten und fürstlichen Wankelmut interessante Beobachtungen
anzustellen.
Während des Berliner Kongresses trat ich zuerst dem Geheimrat von
Holstein näher. Er gehörte dem Sekretariat des Kongresses an, das von
einem Deutschen, dem in das Auswärtige Amt einberufenen Gesandten in
Athen, Herrn von Radowitz, und einem Franzosen, dem Ersten Sekretär der
Französischen Botschaft in Berlin, dem Grafen deMouy, übrigens im besten
Einvernehmen untereinander, geleitet wurde. Solange der Kongreß tagte,
herrschte Harmonie zwischen Radowitz und Holstein, die bis dahin
Freunde gewesen waren. Die Brouille kam erst nachher, und ihre Ursache
war charakteristisch für die Eigenart Holsteins. Nach dem Auseinander-
gehen des Kongresses beschlossen die an ihm beteiligten Mächte, mit
Ausnahme der armen Türken, denen als Opfer des Kongresses ihre Zurück-
haltung nicht übelzunehmen war, die Mitglieder des Sekretariats zu