Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Bülows neuer 
Chef 
462 CHLODWIG HOHENLOHE 
Marinetruppen fast eine Million Soldaten auf die Beine gebracht. Aux 
armes, citoyens! Wenn Gambetta auch nicht wie der Konvent vierzehn 
Armeen aus der Erde stampfte, so stellte er doch noch vier Heere ins Feld: 
die Loire-Armee bei Orleans, die Ost-Armee bei Besancon und zwei Heere, 
gegen die ich als junger Husar gefochten habe: die West-Armee bei Rouen 
und die Nord-Armee bei Lille. In Bordeaux tagte die französische National- 
versammlung, die dem am 10. Mai 1871 zwischen dem Deutschen Reich und 
der Französischen Republik abgeschlossenen Frieden ihre Zustimmung 
erteilte. 
In Paris wurde ich von meinem neuen Chef, der mich schon in Berlin 
während des Kongresses kennengelernt hatte, mit großer Liebenswürdigkeit 
empfangen. Chlodwig Fürst von Hohenlohe-Schillingsfürst, Prinz 
von Ratibor und Corvey, Botschafter des Deutschen Reichs bei der Fran- 
zösischen Republik, Ritter des preußischen hohen Ordens vom Schwarzen 
Adler, Königlich Bayrischer Kron-Oberst-Kämmerer, war nicht nur durch 
Geburt und Stellung, sondern im innersten Kern ein Grandseigneur. Dabei 
konnte man sich kaum ein bescheideneres Auftreten denken als das seine. 
Er hatte in seinem Wesen fast etwas Schüchternes. Nicht als ob es ihm an 
innerem Stolz gefehlt hätte. Er vergaß nie, daß sein Haus seinen Ursprung 
auf den Herzog Eberhard von Franken zurückführte, den Bruder des deut- 
schen Königs Konrad I. Dieser Stolz bildete sozusagen sein moralisches 
Rückgrat auch in schwierigen Situationen. Als bayrischer Ministerpräsident 
und Minister des Äußern hatte er von 1867 bis 1870 gegenüber der klerikal- 
partikularistischen Opposition in der Bayrischen Kammer einen schweren 
Stand gehabt. Die klerikalen Partikularisten, die sich komischerweise 
„Patrioten‘ nannten, waren rauh und grob und nahmen kein Blatt vor den 
Mund. Sie ermangelten durchaus jenes Anstandes, den Schiller an dem 
Nadowessier rühmt, „als er’s Licht noch sah“. Fürst Chlodwig Hohenlohe 
war kein Redner und ist es auch später als Reichskanzler nicht geworden. 
Er konnte nur mühsam einige Worte von einem ihm von einem seiner Unter- 
gebenen zugesteckten Blättchen Papier ablesen, wenn er durchaus auf einen 
Angriff replizieren mußte. Unter solchen Bedingungen hat er wochenlang 
dem Ansturm der „Patrioten“ standgehalten, als Uhu in der Krähenhütte, 
um einen Bismarckschen Ausdruck zu gebrauchen. Als ich viele Jahre 
später den bayrischen Gesandten in Berlin, den Grafen Hugo Lerchenfeld, 
der damals im bayrischen Ministerium des Äußern gearbeitet hatte, frug, 
wie Fürst Hohenlohe diese Situation habe ertragen können, meinte 
Lerchenfeld: ‚Ja, sehen Sie, er empfand eine solche innerliche Mißächtung 
für diese parlamentarischen Seifensieder, daß deren Schelten und Schimpfen 
ihn so wenig beeindruckte wie der Dreckwurf eines Buben auf der Straße. 
Er kam aus der Kammer immer in vergnügter, jedenfalls gleichmütiger
	        
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