Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER PATRIOT 469 
Medizinalkräutern und nannte seinen Laden „Au port de Gönes“. Als 
Gambetta fils schon ein berühmter Mann geworden war, las man auf einem 
Ladenschild in seiner Geburtsstadt Cahors, der Hauptstadt des Departe- 
ments Lot: „Gambetta, Herboriste, au port de Gönes.‘“ War Gambetta 
jüdischen Ursprungs? Das ist vielfach behauptet worden. Seine Gesichts- 
bildung hätte der Annahme jüdischer Abkunft nicht widersprochen. Sein 
Gesichtsschnitt war jüdisch. War Gambetta wirklich Jude, so würde das 
nur ein neuer Beweis für die politische Begabung der Juden sein, die schon 
durch Disraeli, Daniele Manin, Luigi Luzzatti, Karl Marx und Ferdinand 
Lassalle illustriert wird, von Moses und König Salomon gar nicht zu reden. 
Das Diner beim Grafen Roger du Nord, bei dem ich Gambetta kennen- 
lernte, steht mir noch heute, nach so vielen Jahren, lebhaft vor Augen. Der 
gute Graf war ein großer Feinschmecker. Es gab Riesentrüffeln, prachtvolle 
Truffes de Perigord in Champagner gekocht und mit bester Butter, ungefähr 
das Unverdaulichste, was man sich denken kann. Ich bewunderte den 
Appetit, mit dem Gambetta den Trüffeln zusprach. In diesem Appetit 
glich er Bismarck. Dazu trank er Chambertin, einen schweren Burgunder- 
wein. Nach Tisch kam er auf mich zu, nahm mich unter den Arm, setzte 
sich auf ein Sofa und forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen. Er war 
in hohem Grade das, was die Italiener einen „Simpaticone‘“ nennen. Er war 
mehr als das, er war eine große Natur. Er lenkte sofort die Unterhaltung auf 
seine Haltung im Deutsch-Französischen Kriege. Und das war ganz in der 
Ordnung. Die bewunderungswürdige Energie, mit der er damals das bei 
Weißenburg, Wörth, Spichern, Colombey-Nouilly, Vionville, Mars-la-Tour, 
Gravelotte-Saint-Privat, Noisseville, bei Sedan besiegte Frankreich auch 
nach Sedan, nach der Übergabe von Metz, nach der Einschließung von 
Paris in den letzten Verzweiflungskampf führte, war die eigentliche Basis 
seiner Stellung in Frankreich. Das gab ihm eine Position, wie sie kein an- 
derer Franzose seiner Generation hatte. Er war nicht nur ein Patriot, er 
war der Patriot. Er war nieht nur national gesinnt, wie dies mit ver- 
schwindenden Ausnahmen alle Franzosen sind, er war der Nationalist par 
excellence. Er war der Mann, der bis zuletzt für den Krieg bis aufs Messer 
eingetreten war. Wie Clemenceau im letzten Jahre des Weltkrieges der 
Träger der Guerre jusqu’au bout, so war im Winter 1870 Gambetta der 
Vertreter der Guerre a outrance. Daß es seiner Energie, seinem Enthusias- 
mus, seinem Glauben an sein Land gelungen war, Widerstand und Krieg 
noch um vier Monate zu verlängern, sicherte ihm seinen Platz im Herzen 
des französischen Volkes wie in der stolzen französischen Geschichte. Schon 
im Dezember 1870 hatte Hippolyte Taine, der kritische und dem Heroen- 
Kultus abgeneigte Historiker, an einen Freund geschrieben: „Selbst wenn 
wir zermalmt werden, wird Gambetta in jedem Falle unsere Ehre gerettet 
Gambetta 
1870
	        
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