Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE BEFESTIGUNG DER REPUBLIK 479 
Dagegen hat sich die Erwartung des großen Staatsmannes, daß ein republi- 
kanisches Frankreich im Gegensatz zu einer französischen Monarchie nicht 
allianzfähig sein würde, nicht erfüllt. Er unterschätzte wie die Lebenskraft 
und Elastizität Frankreichs so auch die Anziehungskraft seiner glänzenden 
Hauptstadt auf die Völker und die Staatsoberhäupter. Er überschätzte die 
legitimistische Prinzipientreue der europäischen Souveräne. Die Zeiten der 
Heiligen Allianz waren vorüber. Der Prinz von Wales war nicht der 
mystische Zar Alexander I., König Viktor Emanuel war nicht so starr wie 
Nikolaus I. Selbst der durch und durch autokratisch angelegte Alexan- 
der III., der weder die Revolution noch die Republiken liebte, hat sich mit 
Frankreich verbündet, allerdings erst, nachdem Caprivi, Marschall und 
Holstein mit Zustimmung des Kaisers Wilhelm II. den von Bismarck ab- 
geschlossenen Rückversicherungsvertrag mit Rußland noch dazu in un- 
geschickter und unhöflicher Weise gekündigt und damit den Eckstein aus 
dem Bismarckschen Quaderbau herausgerissen hatten. Auch nachdem sich 
die republikanische Regierungsform in Frankreich nicht nur äußerlich, 
sondern auch innerlich befestigt hatte, pilgerten die europäischen Prinzen 
und Fürsten nach Paris, wie sie seit Jahrzehnten das Paris der Bourbons, 
der Orleans und der Bonapartes aufgesucht hatten. Der englische Thron- 
folger und die russischen Großfürsten gingen dabei allen anderen mit gutem 
oder vielmehr mit bösem Beispiel voran. 
Wenn Fürst Bismarck angenommen hatte, daß ein republikanisches 
Frankreich militärisch weniger gefährlich sein würde als ein monarchisches, 
so hat sich auch das als ein Irrtum herausgestellt. Bismarck beurteilte die 
französische Demokratie zu sehr nach unserer deutschen. Er sah die 
deutsche Demokratie vor sich: die Schulze-Delitzsch und Rudolf Virchow, 
die Johann Jacoby und Waldeck, die ganz pazifistisch fühlten, denen alles 
Militärische in tiefer, innerer Seele verhaßt war, die für internationale Ver- 
brüderung schwärmten. Die französische Demokratie war anders geartet als 
die deutsche. Und die französische Sozialdemokratie war erst recht ver- 
schieden von der deutschen, wie das Millerand, Viviani, Briand, Albert 
Thomas den deutschen Genossen im Weltkrieg und nach dem Weltkrieg 
gezeigt haben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Jaures, auf den 
manche sentimentale Deutsche ihre Hoffnung gesetzt hatten, wenn er nicht 
beim Beginn des Weltkrieges ermordet worden wäre, sich ebenso patriotisch 
benommen haben würde wie seine Freunde und Parteigenossen. Blieb doch 
selbst Gustave Herve nicht zurück, der vor dem Weltkrieg erklärt hatte, 
die französischen Fahnen gehörten auf den Mist. Nach dem Gesetz der 
Pendelschwingung verwandelte er sich aus einem outrierten Pazifisten in 
einen ebenso outrierten Chauvinisten. Die Traditionen der französischen 
Demokratie sind chauvinistisch, nationalistisch. Die Marseillaise war ihr 
Die fran- 
zösische 
Demokratie 
und die 
Armee
	        
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