Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Jules Ferry 
482 GREVYS SCHWIEGERSOHN 
trockene Witze berühmt sind, dort nicht ungern einen gemütlichen Skat 
spielen, wenn es die Höflichkeit erfordert, aber auch ein L’hombre-Spiel 
mit älteren Damen riskieren. Grevy trug, wie viele seiner Berufsgenossen 
vom Barreau, starke weiße Bartkoteletten, die der Franzose Favoris nennt. 
Oberlippe und Kinn waren glatt rasiert, der Schädel war völlig kahl. So 
war Jules Grevy der typische Avoue, und jedem Schauspieler, der seine 
Maske kopiert hätte, wäre Erfolg sicher gewesen. Er hätte bis an sein 
Lebensende Präsident bleiben können, wenn er nicht einen Schwiegersohn 
gehabt hätte, an dem er politisch zugrunde ging. Mancher Politiker ist an 
seiner Frau gescheitert, mancher an seinen Söhnen. Jules Grevy ist meines 
Wissens der einzige, den sein Schwiegersohn auf dem Gewissen hat. Dieser 
Schwiegersohn hieß Daniel Wilson. Er war der Sohn eines Engländers, 
sehr reich, ein Lebemann, der sich das historische Schloß Chenonceaux 
gekauft hatte, wo er glänzende Feste gab. Chenonceaux war noch schöner, 
jedenfalls vornehmer als der Schwanenwerder bei Berlin, wo unter der 
Republik große Männer der deutschen Sozialdemokratie sich amüsierten. 
Wilson war erfüllt von politischem Ehrgeiz. Er gründete eine täglich er- 
scheinende Zeitung „La petite France“, in derer Gambetta und nach dessen 
Tode dessen Parteifreunde nicht ohne Gehässigkeit angriff. Er machte sich 
das nur dem Präsidenten zustehende Recht der unentgeltlichen Brief- 
beförderung zunutze, um nicht allein seine Privatkorrespondenz, sondern 
auch „La petite France‘ unfrankiert zu versenden. Er hatte auch von 
einem Reeder in Havre hunderttausend Francs für sein Zeitungsunter- 
nehmen bekommen und dem Geber dafür das rote Bändchen der Ehren- 
legion verschafft. Biedermann in jeder Beziehung, hatte sich Jules Grevy 
nicht von seiner einzigen Tochter Alice trennen wollen. Alice wollte ihren 
geliebten Daniel nicht verlassen, und so wohnte dieser unter dem schwieger- 
väterlichen Dach im Elysee-Palast und riß den alten Grevy mit ins Ver- 
derben. Jules Grevy hat im Dezember 1887, drei Jahre nachdem ich Paris 
verlassen hatte, gerade achtzig Jahre alt, seine Würde niedergelegt. Er ist 
einige Jahre später im Jura, in seiner Heimat, gestorben. Er hatte die Freude 
gehabt, Gambetta, den er nicht ausstehen konnte, vor sich sterben zu sehen. 
Jules Ferry war nicht weniger Biedermann als Jules Grevy. Er war 
nicht so sympathisch wie Leon Gambetta. Im Gegensatz zu diesem war er 
keine große Natur. Er stammte aus dem östlichen Frankreich, aus Saint- 
Die im Vogesen-Departement, wo seine Vorfahren seit Jahrhunderten an- 
gesehene Bürger gewesen waren. Er war groß, blond, breitschulterig, mit 
eckigen Bewegungen. Gambetta, der ihn an sich persönlich nicht besonders 
mochte, hat von ihm gesagt, er würde, wenn er die militärische Laufbahn 
eingeschlagen hätte, ein Ney oder Murat geworden sein. Es war schwer zu 
glauben, daß dieser ernste Mann in seiner Jugend eine satirische Broschüre
	        
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