Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Gräfin D. 
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bekleideten diplomatischen Posten eine verständnisvolle Gefährtin gewesen 
und ist ihm jetzt, in den schwierigen Nachkriegsverhältnissen, bei der 
Verwaltung ihrer pommerschen Güter die treueste Stütze. 
In Deutschland wurde es nach dem siegreichen Kriege von 1870/71 
Mode, von Paris als dem Seine-Babel zu sprechen. Das war eine arge Über- 
treibung und eine Geschmacklosigkeit. In allen Großstädten macht sich 
das Laster breit, das in London und New York brutaler auftritt als in 
Paris. 
Es ist mir fraglich, ob nicht in den Jahren, die dem Weltkrieg voraus- 
gingen, Berlin mehr an die Stadt des Nabopolassar und Nebudkadnezar 
erinnerte als Paris, wo Esprit und Grazie die Sünde mit einem versöhnenden 
Schleier verhüllen. 
Ich will nicht behaupten, daß ich gerade in Paris wie ein Trappist 
gelebt hätte. Mein lieber Freund Franz Arenberg erzählte gern die 
Geschichte jenes jungen französischen Offhiziers, der in der Beichte einige 
Vergehen gegen das sechste Gebot bekennen mußte. Obwohl er 
schon zwei oder drei solcher Verirrungen gebeichtet hatte, insistierte der 
Beichtvater: „Est-ce tout? Vraiment tout?“ Worauf der junge Mann: 
„Mais, mon pere, je ne suis pas venu ici pour me vanter.“ Der heilige und 
große Augustin schließt die Schilderung seiner Sünden mit dem Ausruf: 
„Felix culpa!“ Er freut sich der Größe seiner Schuld, denn sie führte ihn 
zur Reue, sie zeigte ihm die Unergründlichkeit des göttlichen Erbarmens 
und der göttlichen Liebe. Meine Stimmung nach sechsmonatigem Auf- 
enthalt in Paris war mehr die des Tannhäuser, wenn er zu Frau Venus 
spricht: 
Euer Minne ist mir worden leid, 
Ich hab in meinem Sinne, 
O Venus, edle Jungfrau zart, 
Ihr seid ein Teufelinne. 
Da ich nicht nach Rom pilgern konnte, so suchte ich Trost und Be- 
ruhigung bei einer gütigen und warmherzigen Frau, die sich mit der Zärt- 
lichkeit einer Mutter und gleichzeitig mit der Hingebung einer Geliebten 
meiner annahm. Die Gräfin D. lebte von ihrem Mann getrennt, ohne 
eigentlich von ihm geschieden zu sein. Sie war etwa vierzig Jahre alt, also 
die Frau, die Balzac gefeiert hat. Sie war durchaus Weltdame und doch 
nicht banal, natürlich und dabei distinguiert. Ich verglich sie gern mit Frau 
von Warens, was ihr anfänglich schmeichelte, denn sie hatte eine hohe 
Meinung von dem Genie des großen Magiers Rousseau. Als sie aber, durch 
meinen Vergleich dazu angeregt, die „Confessions‘‘ wieder in die Hand 
nahm und fand, daß Madame de Warens in intimen Beziehungen zu ihrem
	        
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