Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

EIN MENSCHENVERÄCHTER 493 
Durch und durch Realist, sentimentalen Neigungen selten zugänglich, hier 
und da (mehr aus Laune als aus ethischen Motiven) menschenfreundlich, 
im allgemeinen voll Verachtung für die Menschheit und für den einzelnen 
Menschen, war er ein nicht ganz sympathischer Typus jener herrischen 
Arbeitgeber, die viel zur Erbitterung der Arbeitnehmer und damit zur 
Verschärfung der sozialen Gegensätze beigetragen haben. Aber er war ein 
Geschäftsmann im allergrößten Stil, eine der klarsten und schärfsten 
wirtschaftlichen Intelligenzen, denen ich begegnet bin. Cecil Rhodes und 
Pierpont Morgan waren ihm geistesverwandt. Mit Guido Henckel ökono- 
mische Fragen zu besprechen oder industrielle Anlagen zu besichtigen, war 
in hohem Grade lehrreich. Albert Ballin, gewiß ein zuständiger Beurteiler, 
hat mir mehr als einmal nach Besprechungen mit Guido Henckel gesagt: 
„Er ist der bedeutendste Industrielle und gleichzeitig der geschickteste 
Bankier, den wir in Deutschland haben.“ Es gab nur einen Industriellen, 
den Ballin geistig und als Willenskraft neben Graf Henckel stellte, 
Hugo Stinnes. 
Graf Guido Henckel war achtundvierzig Jahre alt, als ich ihm in Paris 
nähertrat. Er war der Sohn des Grafen Karl Lazarus, dessen ich als des 
ersten Kommandeurs des National-Husaren-Regiments gedacht habe, das 
ruhmvoll in den Freiheitskriegen focht und aus dem später das Königs- 
Husaren-Regiment hervorging. Guido Henckel war wegen seiner ungewöhn- 
lichen Kapazitäten vom Fürsten Bismarck seit jeher beachtet worden. Zu 
einem wirklich vertrauensvollen Verhältnis kam es aber zwischen beiden 
nicht, solange Bismarck im Amte war. Der große Mann, der mißtrauisch 
war und schwer vergaß, grollte innerlich Henckel wegen der intimen Be- 
ziehungen, die diesen einst mit Harry Arnim verbunden hatten. So 
gehörte Guido Henckel zu denjenigen, über die vor dem Sturze des Fürsten 
Bismarck im Hause Bismarck nicht immer freundlich gesprochen wurde, 
die aber trotzdem nach dem Sturze des Titanen in unerschütterlicher Treue 
zu dem entamteten und verfolgten Bismarck standen. Mit dem spätern 
Feldmarschall Graf Alfred Waldersee war Guido Henckel zeitlebens eng 
befreundet, dagegen wurde er, auch zeitlebens, von Holstein mit geradezu 
fanatischem Haß verfolgt. Freier Standesherr auf Beuthen, Erbherr von 
vier Fideikommißherrschaften und neun Allodialrittergütern in Ober- 
schlesien, von acht Starosteien in Russisch-Polen und Galizien, Erb- 
Oberlandmundschenk im Herzogtum Schlesien, erbliches Mitglied des 
Preußischen Herrenhauses, schien Graf Guido für die korrekte Existenz 
eines schlesischen Magnaten prädestiniert, wenn ihn nicht, wie manchen 
andern, Gott Amor aus den üblichen gesellschaftlichen Geleisen geworfen 
hätte. Das Merkwürdigste an Graf Guido Henckel war seine Frau. Als 
Sarah Lachmann in Neiße 1826 von armen jüdischen Eltern geboren, war 
Henckel- 
Donners- 
marcks 
erste Ehe
	        
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