DIE HELLEN PANTALONS 499
Kaiser und seinem alten Leibjäger. Der letztere erklärte neue Pantalons
für unbedingt geboten. Der Kaiser, der nie knickerte, wo würdiges Auf-
treten angezeigt war, der für wirkliche Not eine sehr freigebige Hand hatte,
meinte hinsichtlich der Emser hellfarbenen Pantalons regelmäßig, es würde
wohl genügen, die Hose zu wenden. Bis zwölf Uhr saß der Kaiser an seinem
Schreibtisch, um erst dann einen kleinen Spaziergang auf der Kurpromenade
zu unternehmen. Nachmittags arbeitete er wieder von drei bis fünf und
nicht selten bis sechs Uhr, manchmal noch später. Auf der Promenade
sprach er gern Bekannte an, immer liebenswürdig, bisweilen mit freund-
lichem Scherz, vollkommen natürlich, ohne jede Steifheit oder gar Pose,
aber nie anders als in königlicher Haltung. Mit Damen war er von ritter-
licher Galanterie, ohne eine Spur von seniler Courmacherei, aber nach dem
Grundsatz des sonst von ihm sehr verschiedenen Louis XIV., daß ein wohl-
erzogener Mann auch vor einer Kammerfrau den Hut abzieht.
Ich wurde nicht lange nach dem Eintreffen des Kaisers zur Mittagstafel
befohlen. Nach Tisch zog mich der alte Herr in ein längeres Gespräch über
französische Zustände. Mein Vater hatte ihm den Bericht vorgelegt, den
er von mir über meine schon erwähnte und inhaltlich wiedergegebene
Unterredung mit Leon Gambetta erhalten hatte. Der Kaiser hatte in seiner
Güte ad marginem meines Berichtes geschrieben: „Ich gratuliere dem
Vater des Pariser Berichters wegen der lichtvollen und gediegenen Dar-
stellung seines Erlebnisses.‘“ An diesen meinen Bericht knüpfte der alte
Herr an. Er stellte eine Reihe von Fragen an mich, um zu hören, wie ich über
die Stimmung in Frankreich und die Gefahr eines neuen Krieges zwischen
uns und unserem französischen Nachbar dächte. Seine Fragen waren klar
und präzise, jedes seiner Worte zeugte von der besten Eigenschaft, die er
unter so vielen großen Qualitäten besaß: dem gesunden Menschenverstand.
Er hörte aufmerksam zu, als ich meine Ansicht entwickelte. Er unterbrach
nie. Als ich die französische Grundstimmung in die Worte zusammenfaßte:
„La France desire la revanche, mais elle veut la paix“, fragte er: „Und
wann wird bei den Franzosen der Wunsch stärker sein als der Wille, wann
wird der Wille dem Wunsche folgen?“ Ich entgegnete, ohne mich zu
besinnen: „Wenn wir mit Rußland in Krieg geraten.“ Mit ernstem
Gesicht entgegnete der alte Kaiser: „Das ist auch meine Ansicht.“
Während meiner Emser Badekur wurde ich zur Abendtafel bei der in
Koblenz weilenden Kaiserin und Königin Augusta eingeladen. Sie war
damals achtundsechzig Jahre alt. Ihre Haltung war schon recht gebückt,
aber ihre Augen, aus denen Geist und Willenskraft sprachen, leuchteten
im alten Feuer. Es war unmöglich, sie sprechen zu hören, ohne an Goethe
zu denken. Im Gegensatz zu dem Franzosen wie zu dem Italiener fehlt dem
Deutschen nur zu oft die Ehrfurcht vor seiner Muttersprache, die doch die
32°
Bülow zum
Kaiser
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Kaiserin
Augusta