Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

FERRY GEGEN DIE KIRCHE 501 
Grade, das ihnen das kirchenfreundliche Gesetz von 1875 eingeräumt hatte, 
und regelte das höhere Unterrichtswesen. Die freien Lehranstalten durften 
nicht mehr den Titel „Universität“ oder „Fakultät“ führen, kein Mitglied 
einer nicht anerkannten Religionsgesellschaft solltein Frankreich Unterricht 
erteilen dürfen. Nach der Vorlage des Herrn Jules Ferry sollte der Unterrichts- 
rat fortan aus fünfzig Mitgliedern bestehen, die sämtlich dem staatlichen 
Unterrichtspersonal angehören mußten. Die kirchlichen Elemente, die 
ihm bisher angehört hatten, vier Erzbischöfe oder Bischöfe, wurden aus- 
geschlossen. Die Anwendung des Artikels 7 des Gesetzes über die Freiheit 
des höheren Unterrichts hatte zur Folge, daß siebenundzwanzig Männer- 
Kongregationen, die achtundachtzig Häuser mit einem Personalbestande 
von fast zweitausend Mitgliedern besaßen, in Frankreich keinen Unterricht 
mehr erteilen durften. Unter ihnen die Jesuiten, die allein siebenundzwanzig 
Unterrichtsanstalten mit über achthundert Ordensmitgliedern besaßen. 
Die Zahl der Zöglinge, die in jenen achtundachtzig Häusern Unterricht 
erhielten, wurde auf über siebzigtausend berechnet. Die Frauen-Kon- 
gregationen, denen die Lehrbefugnis entzogen wurde, hatten bis dahin 
jährlich an zweihunderttausend Schülerinnen unterrichtet. Begreiflicher- 
weise wurde die klerikale Partei in Frankreich durch diese Unterrichtsgesetze 
in sehr große Aufregung versetzt. Der Kardinal von Bordeaux eröffnete den 
Feldzug durch einen langen Hirtenbrief, der Erzbischof von Paris folgte 
mit einem bewegten Schreiben an die beiden Kammern, ein Petitionssturm 
gegen die Ferryschen Gesetzentwürfe wurde ins Werk gesetzt. In Paris 
bildete sich ein „Generalpetitionskomitee für Unterrichtsfreiheit“. 
Auf einem Diner bei dem Schweizer Gesandten Kern lernte ich den 
Berichterstatter für das Unterrichtsgesetz, den Abgeordneten Paul Bert, 
kennen. Ich hatte bei Tisch meinen Platz neben ihm erhalten. Er setzte mir 
mit großer Lebhaftigkeit und vollkommener Unbefangenheit seinen Stand- 
punkt auseinander. Fürst Bismarck, meinte er, dessen große Talente er im 
übrigen nicht bestreiten wolle, habe im sogenannten Kulturkampf ganz 
falsch manövriert. Er habe gegen die römische Kurie, gegen die Bischöfe 
und sogar gegen den niederen Klerus Krieg geführt. Die Kurie sei, 
seitdem die Italiener sie von der Last der weltlichen Herrschaft befreit 
hätten, gar nicht mehr zu fassen. „Le Pape peut se cacher derriere le dos 
des ministres italiens qui sont aussi fourbes que lui. Aussi Pape et Italie 
s’entendent comme larrons en foire.““ Die Bischöfe aus ihrer Ruhe aufzu- 
scheuchen, habe keinen Zweck, und die überwiegend demokratischen Cures 
müsse man möglichst wenig molestieren. „Nous ferons la guerre au bon 
Dieu et nous r&ussirons.‘‘ Die Hauptsache sei, daß der Staat die Schule, mit 
ihr die Jugend und die Zukunft, in seine Hand bringe. In den öffentlichen 
Schulen müsse der Religionsunterricht gänzlich abgeschafft werden. 
Paul Bert 
über die 
Laizisierung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.