Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Urlaub nach 
Berlin 
502 EINE ERNSTE NACHRICHT 
Höchstens dürfe geduldet werden, daß der Religionsunterricht außerhalb 
der Unterrichtsstunden und des Schulgebäudes von den betreffenden 
Kultusdienern erteilt würde, die sich aber hierbei den Anordnungen der 
zuständigen Schulbehörde zu fügen hätten. Nur die Kinder der Eltern, die 
ausdrücklich ein entsprechendes Gesuch gestellt hätten, dürften an diesem 
Religionsunterricht teilnehmen. Die Mitglieder religiöser Kongregationen, 
Orden und Vereine seien ebenso wie die Kultusdiener von den öffentlichen 
Schulen auszuschließen. Die Ordensleute dürften nur dann freie Schulen 
errichten und leiten, wenn sie die Staatsprüfung abgelegt hätten und wenn 
ihr Orden vom Staat anerkannt sei. Paul Bert schloß mit der Bemerkung, 
sein Ziel sei die Beseitigung des Religionsunterrichts und die Vertreibung 
der Ordensleute. Die letzteren seien für die Souveränität des Staats ge- 
fährlicher als der reguläre Klerus. „Il faut laiciser la France.“ Davon hänge 
der Bestand der Republik und die Weltstellung Frankreichs ab. Dieses 
Ziel würde sich nicht von heute auf morgen erreichen lassen, aber schließlich 
werde es, wenn auch nach schweren Kämpfen, von der Republik erreicht 
werden. Die Opposition gegen die Schulgesetze habe nicht viel zu bedeuten. 
Sie finde in den breiten Massen keinen Rückhalt. „Chez nous le grand rire de 
Voltaire a balay& depuis longtemps la superstition. Notre religion a nous 
sera le patriotisme. Un patriotisme ardent, intransigeant, capable de tous 
les elans, pr&t a tous les sacrifices. Cela vaut mieux que les mömeries des 
capucins et les impostures des jesuites. La science nous Eclaire et nous guide, 
l’amour de la patrie nous anime, nous vaincrons.“ 
Ende August erhielt ich einen Brief meiner Mutter, der mich sehr ernst 
stimmte. Sie schrieb mir, daß die Gesundheit meines Vaters ihr schwere 
Besorgnisse einflöße. Auf Rat des Hausarztes habe er eine mehrwöchige 
Kur in Gastein unternommen, die ihm gar nicht gut bekommen sei. Er 
leide an Schlaflosigkeit, starken Kopfschmerzen und, was sie am meisten 
beunruhige, an Schwindelanfällen. Meine Mutter bat mich, so bald wie 
möglich nach Berlin zukommen. Nachdem ich Urlaub erbeten und erhalten 
hatte, traf ich in Berlin ein, wo mich mein Bruder Adolf, damals Premier- 
leutnant bei den 1. Garde-Ulanen, am Bahnhof empfing. Was er mir 
eröffnete, bestätigte nur zu sehr die Sorgen meiner guten Mutter. Der auf 
Rat des Hausarztes zugezogene Professor Wilms, der leitende Arzt des 
großen Krankenhauses Bethanien, hatte meinem Bruder unter vier Augen 
nicht verhehlt, daß mein Vater infolge sechsjähriger Überarbeitung 
unbedingt einer längeren Erholung bedürfe. Professor Wilms hatte 
schließlich meinem Bruder gesagt: „Wenn Sie Ihren Herrn Vater, der kaum 
vierundsechzig Jahre alt ist, noch zehn oder zwölf Jahre behalten wollen, 
so bitten Sie ihn, seinen Abschied einzureichen und, fern den Geschäften 
und aller Politik, auf dem Lande nur seiner Gesundheit zu leben. Wenn er
	        
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