IN BISMARCKS ARBEITSZIMMER 509
ad hoc verfertigten Korrespondenzen aus München, Stuttgart und Dresden
wurde an die alten Sympathien der Bayern, Schwaben und Sachsen für
die Donau-Deutschen erinnert, in Zuschriften aus den östlichen preußischen
Provinzen die Kosakengefahr recht grell an die Wand gemalt. Die Meister-
schaft, mit der dieser Pressesturm organisiert worden war, zeigte die
Bismarcksche Löwentatze.
Sobald der Kaiser unterzeichnet hatte, ließ mich mein Vater kommen
und beauftragte mich, sein von ihm selbst aufgesetztes Abschiedsgesuch
dem Fürsten Bismarck zu überreichen, bei dem er telegraphisch eine
Audienz für mich erbeten hatte. Der Fürst empfing mich in seinem da-
maligen Arbeitszimmer, das später mir und meiner Frau während neun
Jahren als Eßzimmer diente. Er forderte mich auf, ihm gegenüber Platz
zu nehmen. Groß, breitschultrig, schwer, mit dem buschigen Schnurrbart
und den buschigen Augenbrauen, mit den großen, strengen, alles durch-
dringenden Augen, saß der größte deutsche Staatsmann des neunzehnten
Jahrhunderts, einer der größten Staatsmänner aller Zeiten, der gewaltige,
geniale Mann, mir gegenüber, dem kaum dreißigjährigen Legationssekretär.
Nachdem er das mit Gesundheitsrücksichten begründete Abschiedsgesuch
meines Vaters aufmerksam durchgelesen hatte, reichte er es mir mit
den Worten zurück: „Von einem Rücktritt Ihres Herrn Vaters kann gar
nicht die Rede sein, nicht einmal von einem mehr als dreimonatigen Urlaub.
Ihr Herr Vater ist mir unentbehrlich.“ Unter dem Druck der Sorge des
Sohnes um seinen lieben, guten Vater antwortete ich rascher und lebhafter,
als es sich wohl geziemt hätte: „Durchlaucht, mein Vater kann und darf
nicht im Dienst bleiben. Es geht um sein Leben. Ich habe meiner Mutter
versprochen, fest zu bleiben.“ Einen Augenblick sah mich der Fürst mit
verwunderten, mit erzürnten Augen an. Um seine Mundwinkel zuckte es.
Ich hielt seinen zornigen Blick aus und wiederholte noch einmal: „Mein
Vater muß aus der Tretmühle heraus, mindestens für diesen ganzen Winter.
Ich habe meiner Mutter versprochen, nicht eher zurückzukommen, bis ich
das erreicht habe.“
Der Gesichtsausdruck des Kanzlers veränderte sich, sein Auge, sein
ganzes Mienenspiel bekam etwas Freundliches, fast Gerührtes, fast Weiches.
„Es macht Ihnen Ehre, Herr von Bülow“, sprach er zu mir, „daß Sie so
tapfer für die Wünsche Ihrer Frau Mutter eintreten, derich mich zu Gnaden
zu empfehlen bitte. Aber nun denken Sie sich auch einmal in meine Lage.
Als Nachfolger für Ihren Herrn Vater kommen nur zwei Diplomaten in
Frage: Radowitz und Paul Hatzfeldt.“ Er kritisierte beide scharf, sehr
scharf, fast allzu scharf. Ich töne seine Worte bei ihrer Wiedergabe erheblich
ab. Bismarck hat selbst gesagt, daß der Sinn für Anerkennung schwach,
dagegen die Neigung zu tadeln stark bei ihm entwickelt sei. „Radowitz“,
Abschieds-
gesuch von
Bülows
Vater