Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

VITELLIUS 517 
Tisch beiseite nahm, sagte er mir: „Sie sehen, wie infam ich angegriffen 
werde und von welchen Kanaillen !““ Mit melancholischem Lächeln fügte er 
hinzu: „Ich habe Ihnen, mein junger Freund, gelegentlich prophezeit, daß 
Sie einmal an der Spitze der Regierung Ihres Landes stehen könnten. Wenn 
das eintreten sollte, so vergessen Sie nicht, daß die Politik ein schmutziges 
Gewerbe ist und daß man von den meisten Politikern gar nicht niedrig 
genug denken kann, namentlich wenn sie Parlamentarier sind.“ Als mich 
Fürst Hohenlohe am nächsten Tage frug, welchen Eindruck ich von 
Gambetta gehabt hätte, erwiderte ich ihm: „Il a du plomb dans l’aile.““ 
Frankreich ist ein Land, wo seit Voltaire, Beaumarchais und Paul Louis 
Courier der Witz eine große, bisweilen eine vernichtende Rolle gespielt hat. 
Seitdem er Minister geworden war, wurde Gambetta die Zielscheibe vieler 
schlechter, aber auch einiger guter und jedenfalls giftiger Witze. Einer steht 
mir in lebhafter Erinnerung. In einer bewegten Sitzung der Kammer wollte 
der Kriegsminister Campenon das Wort in einem Moment ergreifen, der 
Gambetta nicht opportun erschien. Um seinen Kollegen vom Reden ab- 
zuhalten, legte ihm Gambetta die Hand auf die Schulter. Ein Sozialist 
schrie dem Kriegsminister zu: „Obeissez a Cesar!“ Als er dafür zur Ordnung 
gerufen wurde, replizierte er: „Je retire Cäsar et je mets Vitellius.‘“ Seitdem 
wurde Gambetta von der oppositionellen Presse Vitellius genannt, in An- 
spielung auf den als Prasser berüchtigten, unwürdigsten aller römischen 
Cäsaren. 
Der deutsche Demokrat liebt es, durch spießbürgerliche Manieren, hier 
und da auch durch knotiges Auftreten den „Volksmann‘ zu markieren. 
Dagegen haben die romanischen wie die englischen Demokraten seit jeher 
die Tendenz gehabt, sich die Formen der guten Gesellschaft, ihre Gewohn- 
heiten, hier und da sogar ihre mehr oder weniger empfehlenswerten 
Passionen anzueignen. Gambetta, der das Wort von der „Republique 
Athenienne“ geprägt hatte, wollte auch in seiner Lebensführung lieber an 
Perikles als an Kleon erinnern. In einem Lande, das sich rühmt, die Heimat 
des Brillat-Savarın und der raffiniertesten Gastronomie zu sein, hielt er 
darauf, einen guten Koch zu haben. Dieser Koch hieß Trompette. In 
zahlreichen Artikeln und Karikaturen wurde Trompette, der Leibkoch des 
ehemaligen Volkstribunen, grausam verhöhnt. 
Am 26. Januar 1882 lehnte die Kammer die von Gambetta vor- 
geschlagene Verfassungsrevision ab. Gambetta reichte sofort seine Ent- 
lassung ein, und Grevy beauftragte Freycinet mit der Neubildung der 
Regierung. Dieser konstruierte ein Kabinett, in dem Leon Say, Jules Ferry 
und Humbert Portefeuilles übernahmen, nachdem sie sich Gambetta nicht 
hatten unterordnen wollen. Die Koalition, die Gambetta stürzte, wurde 
von Clemenceau geführt, der zu diesem Zweck ein Bündnis zwischen der 
Gambettas 
Sturz
	        
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