Ottensen
38 AN DER NIEDERELBE
ein schöner Park mit herrlichen alten Bäumen, wohlgepflegtem Rasen, einem
Treibhause und reizenden Ausblicken auf die Elbe. Der Park meiner Groß-
mutter reichte von der schon 1769 gegründeten Wirtschaft von Ritscher
bis zu dem Garten der Elbparkvilla, die ich jetzt im Sommer bewohne.
Gegenüber dem Park lag der sogenannte Kamp, ein großes Wiesenterrain,
auf dem Kühe weideten und mächtige Eichen standen, an denen ich meine
ersten Kletterübungen anstellte und mir die Schwindelfreiheit aneignete,
deren ich mich noch heute erfreue. Mit meinen Brüdern schwamm ich in
der Elbe unter der Aufsicht eines alten Fischers, der van Ehren hieß und
dessen Familie schon seit Jahrhunderten in Teufelsbrück, nahe bei Flott-
bek, ansässig war. Nachmittags fuhren wir mit einer kleinen Eselequipage,
die unser großes Vergnügen war, nach Altona oder nach Blankenese. Wir
liebten diese Esel zärtlich. Gut zu den Tieren zu sein, wurde uns von Kind-
heit an eingeprägt.
Sonntags gingen wir regelmäßig zur Kirche, wie es sich für gute
Kinder schickt, enweder elbabwärts nach Nienstedten oder elbaufwärts
nach Ottensen. Das Kirchspiel Nienstedten soll bald nach der Gründung
Hamburgs durch Kaiser Karl den Großen ins Leben gerufen worden
sein und ist jedenfalls uralt. Der Pastor der Nienstedter Kirche hat mich
getauft, und auf dem Nienstedter Friedhof will ich einst neben meiner
geliebten Frau begraben werden. Wenige deutsche Landstriche haben unter
Krieg und Kriegsnot mehr gelitten als das rechte Ufer der Niederelbe von
Altona bis Blankenese. Nienstedten und Flottbek wurden im Dreißig-
jährigen Krieg von Dänen und Schweden, von Tilly und Wallenstein bar-
barisch verwüst2t, und zweihundert Jahre später, in der Franzosenzeit,
hausten Franzosen und Russen dort nicht weniger grausam. Aus der Zeit
des Dreißigjährigen Krieges stammt das wehmütige Lied des frommen
Pastors Rist:
Das vormals volle Land ist gänzlich aufgezehret,
Das Vieh hinweggebracht, die Dörfer stehn verheeret,
Die Flecken ohn Gebäu, die Äcker voller Dorn,
Die Wiesen sonder Heu, die Scheunen ohne Korn;
Die Städte sind verbrannt, die Männer sind erschlagen,
Nur arme Waislein sind noch übrig, die beklagen
Mit Tränen für und für der liebsten Eltern Tod!
Ich brauchte während meiner Amtszeit nur an das Elend und die Not zu
denken, welche Bellona über meine Geburtsstätte gebracht hatte, um nach
der Einigung Deutschlands und der Wiedererrichtung des Reichs in der Er-
haltung des Friedens mit Würde und in Ehren die vornehmste Pflicht des
deutschen Reichskanzlers zu erkennen.